Zwei Denkrichtungen - vereinfachend - bestimmen auch die Diskussion
um die Rezeption Elektronischer Musik: Der "Strukturalismus" und die "Hermeneutik".
Der strukturalistische Ansatz sucht nach objektiven Gesetzen, er kann daher
sozusagen ohne Bedeutung und ohne Subjekt auskommen, der hermeneutische
Ansatz beinhaltet die Kunst möglicher Ausdeutung, Bedeutung, Sinngebung
für das Subjekt, dieses ist der Mensch. Der hermeneutische Ansatz
läßt sich leiten von der Voraussetzung, den Menschen und seine
Tätigkeiten (z.B. als Musikproduzent) als bedeutungsstiftendes Subjekt
zu verstehen. Man muß und kann natürlich fragen, ob diese Bedeutungen
nur als gesellschaftliche Praxis infolge Übereinkunft (konventionell)
exisitieren, oder ob sich diese quasi objektiv als übergreifend geschichtslos
manifestieren. Bedeutung kann nun auch in zweierlei Hinsicht aufgefaßt
werden: Die strukturelle Bedeutung versucht, Grundelemente und deren Kombinationsregeln
zu bestimmen, die hermeneutische Bedeutung geht hingegen vom Subjekt, von
dessen Geschichte und Tradition, eben vom Menschen und dessen Fähigkeiten
aus. Die klassische musikalische Hermeneutik hat als Ausgangsebene, daß
nicht musikalische Prozesse wie Natur, Gefühle, Stimmungen, seelische
Abläufe in Musik ausgedrückt werden können. Der Musik wohnt
dann ein allgemein menschlicher Inhalt inne. Die geschichtliche Linie geht
von der antiken Ethoslehre bis zur klassischen Ausdruckskästhetik,
die noch heute weitgehend die Musikrezeption beherrscht. Musikalischen
Formeln und Formteilen wird hier ein emotionaler Gehalt zugeordnet. Die
Musik ist abhängig von einem menschlichen Kategorialsystem des Erlebens
und Fühlens. Eine Grundkategorie ist z.B. der Prozeß "Spannung
und Lösung": Dominante - Tonika, Vorder- Nachsatz, Beginn - Ende,
leise - laut, Hebung - Senkung, betont - unbetont. Das Hören und Rezipieren
Elektronischer Musik, zumindest solcher, die sich traditionellen Mustern
verschließt, ist über den hermeneutischen Ansatz kaum anzugehen.
Für die Elemente Elektronischer Musik fehlen bisher alle konventionellen
Standards, fehlt jede lehr- und lernbare Grammatik, in der man sich verstehen
und damit verständigen kann. Es fehlt jede Kommunikationsmöglichkeit.
Es ist auch in der Elektronischen Musik so, daß der Ausdrucksgehalt
gesucht wird. Die Ausdrucksmodelle von Musik liegen eben in allgemeinen
Erfahrungen und konventionalisierten kulturellen Mustern, die vielleicht
sogar inzwischen in der zweiten Natur zumindest des abendländischen
Menschen liegen. Für die Elektronische Musik kann es nur von Vorteil
sein, von diesen soziokulturellen Verstehensmustern gänzlich abzugehen
und das "Verstehen" auf eine ganz andere Ebene zu lenken: der von immanenten
syntaktischen Verknüpfungen von Elementen, deren bedeutungslose Kenntnisnahme
und Wahrnehmung.
Die Syntax der Elektronischen Musik wird, falls sie überhaupt
erstellbar ist, zunehmend komplexer, damit kaum noch erkennbar und nachvollziehbar.
Die syntaktischen Funktionen müssen sich deswegen auf elementare Kategorien
wie "gleich - ungleich, ähnlich - anders, verändert, komplex
- weniger komplex, elementar - kompliziert, anhörbar - unerträglich"
beschränken.
Hinzu kommt, daß die klassische Musikpraxis etwas ganz Wesentliches
nebenbei herausgebildet hat, die sogenannte "Segmentierung" des akustisch
komplexen Gefüges in ein anderes Medium: die Partitur. Beim Hören
und der Rezeption geht man von dieser visuellen Elementarisierung und Klarstellung
aus, rein physikalische Größen (z.B. Frequenz) werden hier in
intellektuell nachvollziehbare Wahrnehmungsparameter (z.B. Noten) verwandelt.
Diese Größen sind konventionalisiert, tradiert, lernbar eindeutig
und geschichtlich bedeutungsvoll.
Für die Elektronische Musik gibt es solche Segmentierungsmethoden
noch nicht, es gibt noch überhaupt keine Methode, etwa die grenzenlosen
Klangmöglichkeiten auf einen eindeutig verwendeten Zeichenvorrat zu
reduzieren und damit auch zu tradieren.
Die Frage ist, ob sich also eine Theorie, eine Konvention, ein Ausdruckscharakter,
eine Bedeutung von elektronischen Klängen schaffen läßt,
oder ob dieser "physikogene" Zugang zu Soundphänomenen sich grundsätzlich
einer Eindeutigkeit und damit Bedeutung entzieht.
Letztlich steht daher die Frage nach der Bedeutung von etwas oder von
der Welt schlechthin im Raum. Ein Mensch kann einem etwas bedeuten, ein
Baum, die Welt als Ganzes, sie deutet vielleicht auf etwas hin, zunächst
einmal ist sie - ganz einfach - da.
So sind Elektronische Klänge zunächst einmal da, werden angeboten,
gebieten ein Zuhören und haben zumindest die Bedeutung, daß
sie sich uns vorstellen, sich vor unsere persönliche Bedeutung und
unsere Bedeutungen stellen. Deshalb sind heute die Instrumente als Werkzeuge
"bedeutender" als die Menschen: Die Emissionen und Emanationen dieser Instrumente
deuten hin auf Grundlagen, Substanzen, Elemente. Ob sich freilich dieser
Bedeutung eine Bedeutung zumessen läßt, bleibt fraglich, zumindest
für den abendländischen Raum, der sich so bedeutungsvoll auf
die Bedeutung der Bedeutungen der konventionellen Bedeutung (von bedeutender
Musik) festgelegt hat.