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Editorial

Jetzt ist es amtlich: Klaus Weinhold hat sich nach mehr als 10 Jahren unermüdlicher Arbeit aus Altersgründen nicht mehr für das Amt des 1. Vorsitzenden des Zentrums für Elektronische Musik e.V. zur Wahl gestellt. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal allgemein für die geleistete Arbeit bedanken und im besonderen für die Impulse, die er mir vermittelt hat. Ich bin gespannt, was an neuen musikalischen Erfahrungen aus dieser Konzentration seiner Energien folgen wird. Einen Vorgeschmack bietet sicher sein Artikel in diesem Heft.
Ich bin auch gespannt, was sein Nachfolger Peter Kiethe an neuen Ideen einbringen wird, mit der Soundausstellung in Friedrichshafen hat er sich ja bereits bestens eingeführt
Auch Gerda Schneider hat sich aus Altersgründen nicht mehr als Schriftführerin zur Wahl gestellt, ich und meine Redakteursvorgänger haben ihr besonders für die unermüdlichen Korrekturlesearbeiten zu danken, ohne die dieses Heft nicht so realisierbar gewesen wäre. Auch in diesem Fall wird von zukünftiger Passivität nicht die Rede sein, Frau Schneiders Artikel sagt alles.
Als Nachfolger wurde Hubert Arnolds gewählt, der schon in dieser Ausgabe den Druckfehlerteufel in Schach hält.
Relativ neu im Verein und neu als Autor ist Stephan Kirchhoff, ich denke sein Artikel ist ein guter Einstieg.
In dieser Ausgabe kann ich mich also als an einer großen Zahl "fremder" Artikel erfreuen, ich hoffe daß das auch in Zukunft so bleibt. 

Rettbehr Meier

 

 


Peter Kiethe

Was ist Csound?

Dies ist der Anfang einer Artikelreihe über das beliebte Softwaresynthese-Werkzeug Csound. Dieser erste Artikel soll klären was Csound überhaupt ist und wie man damit arbeiten kann. Es werden die Vor- und Nachteile dieser Arbeitsweise diskutiert. 

 

1. Was ist Csound?

Csound ist eine der am meisten verbreiteten Programmiersprachen für die Entwicklung von Musikstrukturen und Klangdesign. Insbesondere zum Sound-Design geeignet, lassen sich aber auch komplexe Kompositionen in Csound erstellen. Wie bei einer Programmiersprache gibt der Komponist, Produzent bzw. Sound-Designer Zeile für Zeile Befehle in einen Texteditor ein, die nach dem Erstellen dieses Source Codes mit dem Programm Csound kompiliert werden. Am Ende dieser Kompilierung steht eine Klangdatei, z.B. im RIFF (.wav) oder .aif Format. Eine solche Befehlsfolge (stark vereinfacht und in natürlicher Sprache) könnte so aussehen:

1 Nehme einen Sinus
2 Weise dem Sinus die Frequenz 440 Hz zu
3 Weise dem Sinus die Lautstärke -5dB zu
4 Spiele den Sinus genau 5 Sekunden lang

Dieses kleine Beispiel soll nur das Prinzip der Arbeit mit Csound verdeutlichen. Natürlich kann man diese Zeilen so nicht übernehmen, denn Csound ist eine künstliche Programmiersprache, da gibt es strenge formale Regeln, die Programmsyntax, und einen Befehlssatz mit denen gearbeitet werden muß. 
 

2. Was für Schwierigkeiten treten bei der Arbeit mit Csound auf?

Bis hierhin sind schon einige Merkmale der Arbeit mit Csound zu erkennen. Wer die spontane, unkomplizierte Klangerzeugung liebt, wird es schwer mit Csound haben. Bevor man einen Klang hören kann, müssen teilweise seitenlange Source-Codes geschrieben werden. Wer nicht die Geduld und den Willen hat, sehr dezidiert an den Klang heranzugehen, ist mit Csound schlecht beraten.
Ebenso trifft das Wort Echtzeit nicht auf das Programm zu (es gibt allerdings einige Implementationen auf sehr leistungsfähigen Rechnern, die dies per Midi erlauben). Hat man endlich einen hoffentlich richtigen Source-Code geschrieben, muß dieser vom Programm kompiliert und in die Sound-Datei umgesetzt werden. Das kann mitunter, auch im Zeitalter von mit Gigahertz getakteten Prozessoren, sehr zeitaufwendig sein. Erst danach kann man das Resultat hören. 
Ein weiterer Punkt ist für den Musiker die hohe Einstiegshürde, der fehlende, schnelle Erfolg. Mit Csound zu arbeiten, ist wie das Erlernen einer Sprache. Man muß ständig üben und Neues dazu lernen. Dabei kann es sein, daß die Erfolge zunächst recht dürftig sind. Einen Sinus über 10 Sekunden zu erzeugen, und dabei von 440 Hz auf 220 Hz gleiten zu lassen, ist zunächst nichts besonderes und musikalisch nicht sehr interessant. Für einen Csound Anfänger, der vorher noch nie etwas mit Programmiersprachen zu tun hatte, bedeutet es schon eine Anstrengung solch ein primitives Programm zu schreiben. Durchhaltevermögen und Disziplin sind für den Musiker also von Nöten, wenn er mit seinem neuen "Instrument" nicht nur Frust sondern auch neue musikalische Erfahrungen erleben möchte. In einem gewissen Maße muß man in der Lage sein, den Source-Code wie eine Partitur zu lesen und innerlich im Voraus zu hören, will man sich nicht zu Tode iterieren.
 

3. Welche Gründe hat die andauernde Beliebtheit von Csound?

Die Beliebtheit dieses Programmes, durch die unzähligen Hilfsprogramme, Infos und Webseiten im Internet verdeutlicht, legt nahe, daß irgend etwas an dem Programm ist, was die Musiker (oder sind es Informatiker, Physiker ... ) reizt. Ich empfange täglich durchschnittlich 20 E-Mails von interessierten Csound Programmieren aus der Csound Mailing Liste. Zum Vergleich, in einer Schulmusiker Mailing Liste freue ich mich, wenn in der Woche 3 E-Mails eingehen. Und ich denke, es gibt wirklich gewichtige Gründe mit diesem Programm zu arbeiten. 
Gerade die oben angesprochene Genauigkeit, die das Programm erfordert, kann ein großer Vorteil sein. Man stelle sich folgendes Szenarium vor: Das Sprachsample "Musik" soll 31.5 Sekunden geloopt werden. Innerhalb dieser Zeit löscht  ein 16-poliger Tiefpass-Filter die Frequenzen zwischen 5200 und 20.000 Hz. Die Filterhüllkurve ist nicht linear sondern logarithmisch. Außerdem verändert sich der Klang innerhalb seines Klangspektrums. Zu Anfang hört man eine männliche Stimme. Der Klang morpht zu einer Frauenstimme. Als zweite Stimme hört man auf dem linken Kanal einen Klang mit 50 frei programmierbaren Teiltönen. Jeder Teilton hat eine eigene Lautstärken- und Frequenzhüllkurve. Das Ergebnis dieses Klangs wird dynamisch verzögert um 10 bis 500 ms auf dem rechten Kanal wiedergegeben. Beide Klänge verändern ihre Stereoposition, gesteuert durch  unterschiedliche LFOs. Auf  der halb-linken und halb-rechten Kanalposition hört man durch Physical-Modelling erzeugte klarinettenartige Töne, die fluktuierende Impulse im Frequenzspektrum zwischen 200 und 1000 Hz spielen, wobei sie per Zufallsgenerator wechselnde Anblasgeräusche simulieren. 
Dieses Szenarium könnte noch fortgesetzt werden. Es gibt keine Grenzen außer die der eigenen Phantasie. Die Möglichkeiten der Klanggestaltung umfassen alles, was mir bisher bekannt ist. Von absolut freier Additiver-Synthese, Subtraktiver-Synthese mit den unterschiedlichsten frei definierbaren Filtermodellen, zu Karplus-Strong-Synthese, Sampling, FOF-Synthese, FM-Synthese ohne Begrenzung im Operator- oder Modulator-Bereich, Physical-Modelling, Granularsynthese usw. Csound ist Public Domain, das heißt, es ist nicht geistiges, finanziell verwertetes Eigentum einer Person oder Körperschaft, dadurch kann jeder bekannte Algorithmus ohne Lizenzprobleme eingebaut werden.
Alles, was zu hören ist steht im Source-Code, daß heißt man hat eine permanente, schriftliche Grundlage, kann Versionen erzeugen, exakt abändern, und auch nach langer Zeit wieder zu Vorgängerversionen zurückkehren, ohne daß dabei das kleinste Detail verlorengeht. Eine kleine Menge von Zeichencodes in der Source erzeugt per Csound Megabytes oder gar Gigabytes an Audiodateien, stellt also eine komprimierte Darstellung der Audioinformation dar.
Jeder Parameter läßt sich absolut frei definieren, d.h. keine Einschränkung im Frequenzbereich oder in der Lautstärke, keine Einschränkungen bezüglich der Stimmenanzahl, die Off-Line-Berechnung ermöglicht absolut sauberes Timing, ohne Latenzprobleme. Wer eine Syntheseform vermißt kann sie selbst in Csound definieren. Ständig gibt es neue Updates mit den neuesten Befehlserweiterungen - und alles kostenlos, lauffähig auf einem Computer, den kein Fünftklässler mehr eines Blickes würdigen würde. 
 

4. Wie werden Klangdateien mit Csound erzeugt?

Um mit Csound auf einem IBM-kompatiblen PC unter Windows/DOS zu arbeiten, braucht man das DOS-Programm csound.exe. Das Programm wird in einer DOS-Box per Kommandozeile aufgerufen, dabei werden die Flags und der Pfad zu den beiden Dateien, die den Source-Code beinhalten, angegeben. Diese Sourcen werden mit einem Texteditor erstellt: Eine sog. Orchestral Datei, mit dem Suffix .orc, und eine Score-Datei, kurz .sco. Im .orc wird der Klang definiert. Hier wird programmiert, ob der Klang ein einfacher Sinus ist oder ein komplexeres Klanggebilde darstellt. Das Wort Score bedeutet "Partitur", daher wird im .sco der Ablauf des Stückes programmiert. Es wird angegeben welcher Klang zu welcher Zeit gespielt werden soll. Die Flags sind optionale Parameter, die definieren, wie Csound arbeiten soll. Man bestimmt in welchem Format die Klangdatei ausgerechnet werden soll, ob mit Midi-Dateien gearbeitet werden soll, welchen Wave-Treiber das Programm zur Ausgabe des Klangs benutzen soll, wie die Rückmeldung des Programms auszusehen hat und einiges mehr. Eine Kommandozeile kann folgendermaßen aussehen (Achtung, alles muß in eine Zeile, was hier satztechnisch nicht möglich ist):

csound -w -m7 test.wav c:\csound\test.orc c:\csound\ test.sco

Das Flag -W fordert. die Sound-Datei im .wav Format anzulegen, das Flag -m7 gibt an, daß nach der Kompilierung die höchste Amplitude, die Anzahl der Samples die außerhalb des maximalen Amplitudenbereichs liegen und Fehlermeldungen angezeigt werden. test.wav ist der Name der Klangdatei, die erzeugt wird. c:\csound\test.orc ist der vollständige Pfad des .orc-Files, c:\csound\test.sco der des .sco-Files.
 

5. Wie installiert man Csound?

Hat man eine Csound Version aus dem Internet heruntergeladen, so sollte diese in den Ordner csound entpackt werden. Die DOS Hilfsprogramme gehören in einen Unterordner namens bin. Unter DOS/Windows kann in der Datei autoexec.bat der Pfad für die erzeugten Sound-Dateien angegeben werden. Ebenso sollte ein Pfad für Sound-Dateien, die Csound als Eingabe für eine Kompilierung verwendet und ein Pfad für Analyse-Files angegeben werden. Der zu ergänzende Eintrag in der autoexec.bat kann folgendermaßen aussehen:

set path=%path%;c:\csound\bin
set sfdir=c:\csound\waves
set ssdir=c:\csound\samples
set sadir=c:\csound\analyses

Diese Einträge gelten, wenn für das Programm csound.exe die Partition c und, wie üblich, der Ordner csound ausgewählt wurden. Im Ordner csound müssen zusätzlich die Unterordner waves (für erzeugte Sound-Files), samples (für Sound-Files die als Eingabe benötigt werden) und analyses (für Analyse-Files) erzeugt werden. In der Datei config.sys sollte noch eine Zeile ergänzt werden, die speziellen Variablen mehr Speicherplatz einräumt (z.B. bei Win98):
shell=c:\win98\command\command.com/e:1024/p
Nach dieser Aktion muß der Computer neu gestartet werden.
 

6. Das erste Csound Programm:

Erzeugen sie nun 2 Textfiles mit den Namen test.orc:
;test.orc
sr = 44100   ; samplerate
kr = 4410    ; kontrollrate
ksmps = 10   ; samplerate/kontrollrate
nchnls= 1    ; channelanzahl

instr 1
a1 oscil 10000, 440, 1
out a1
endin

und test.sco:
;test.sco
f1  0 2048 10 1       ; sinus
i1 0 1
e

Diese Text-Files sollten sich, wie oben besprochen im Ordner c:\csound befinden. In einer DOS-Box muß nun das Programm Csound wie folgt aufgerufen werden:

csound -w -m7 otest.wav c:\csound\test.orc c:\csound\ test.sco

Nach einer kurzen Kompilierungszeit sollte Csound eine Meldung über die höchsten Amplitudenwerte, die Anzahl der Samples die außerhalb des maximalen Amplitudenbereichs und mögliche Fehlermeldungen, anzeigen. Das Sound-File befindet sich nun als .wav-Datei im Ordner c:\csound\waves.
 
 
 

7. Wie kann man die Arbeit mit Csound vereinfachen?

Die beschriebene, textorientierte Vorgehensweise erscheint zunächst im Zeitalter grafischer Oberflächen sehr primitiv und umständlich, wenn der Kompilierungsvorgang jedoch öfters wiederholt werden muß, sieht das schon ganz anders aus. Da jedoch viele User nicht mehr mit der DOS-Shell umgehen können und wollen gibt es eine Vielzahl kleiner Hilfsprogramme, die einem das Arbeiten mittels grafischer Oberflächen mit all deren Vor- und Nachteilen ermöglichen, dies sind die sog. Frontend-Programme.

 

[Alle folgenden Links sind leider nicht mehr aktiv. Sie seien hier nur noch weiter aufgeführt um evtl. über eine Internetsuche die Nachfolger oder neuen Seiten der "Helfer" zu finden. -der Webmaster]

 


Ein einfaches Frontend ist Csounder von Omni Digital Systems (www.omnids.com). Mittels File-Select-Box und Maus wird der Pfad zum .orc- und .sco-File angegeben. Außerdem übergibt das Programm automatisch die vorher konfigurierten Flags. 
Etwas weiter geht das Programm WC-Shell von Riccardo Bianchini (www.contemponet.com/italiano/contemporanea/news/virtuale.html). Es wird ein einfacher Texteditor zur Verfügung gestellt. Eine Excel-ähnliche, einfache Tabellenkalkulation zum Erstellen und Ändern der .sco-Files ist ebenfalls dabei. Unter Settings kann man Pfade für Wave-Editoren, anspruchsvollere Texteditoren oder Tabellenkalkulationen und unterschiedliche Csound-Versionen eingeben. Hilfsprogramme visualisieren das .sco-File. 
Noch etwas weiter geht Dave Perry mit seinem Programm Visual Orchestra (cornelius.dhs.org/visorc/home.htm). Ähnlich einem modularen Software-Synthesizer kann man grafische Symbole auf einem Schaltplan miteinander verkabeln und so den Aufbau eines .orc-Files vereinfachen. 
AXC und Silence von Michael Gogins (www.pipeline.com/~gogins/) sind Frontends die auf Java aufbauen, ebenso der HPK Composer (hplank.inetpc.com/hpkcomposer.html).
Noch in der Entwicklung ist die Betaversion von Quasimodo (www.op.net/~pbd/quasimodo/). Sie läuft auf modernen Unix-Computersystemen (POSIX). Cecilia ist ein weit verbreitetes Programm für Mac und Linux (www.musique.umontreal.ca/Org/CompoElectro/CEC/).
Ein einfaches aber sehr effizientes Programm ist CSEdit von Flavio Tordino (www.geocities.com/SiliconValley/Drive/8552/index.htm).
Auf der Csound Frontpage vom Massachusets Institute of Technology findet man viele nützliche Anregungen und Hilfsprogramme: (mitpress.mit.edu/ ebooks/Csound/frontpage.html).

[Fortsetzung in ZeM Heft 24]

 

 


Peter Kiethe / Rettbehr Meier

Blick über den Zaun

Mit gehöriger Verzögerung bringe ich zwei Berichte über externe Veranstaltungen mit rein elektronischer Musik, die ja leider immer noch eine seltene Ausnahme im Konzertbetrieb darstellen. Ich finde es bedenklich, wenn auch größere, bekannte Institutionen mit den Akzeptanzproblemen dieser Musik zu kämpfen haben, wenn selbst "Klassiker" dieser Gattung in originaler achtkanaliger Reproduktion, die man sich eben so nicht zu Hause auf der CD anhören kann, keine Zuhörer finden. Ist es ein Zeichen von Dekadenz, wenn die Musik, die auf der Höhe der Zeit ist, oder die genauer schon fast "klassisch" auf ihrem Gebiet ist, nicht das Interesse des Publikums findet? Ich meine: ja. (d. Red.)

 

Internationale Radio Promenade Bregenz 

Von 12. Juli bis 30. August 1998 fand in Bregenz die Internationale Radio Promenade statt. In der Stadt und an der Seepromenade waren zahlreiche Klangobjekte ausgestellt. In der Nähe des Kunstvereins waren 4 Lautsprecherboxen installiert, die ein Tape mit gesampleten und elektronisch verfremdeten Klängen wiedergab. Auf dem gegenüberliegenden Parkplatz konnten die erstaunten Passanten Kettengeräusche hören und manch parkender Autofahrer nahm dies erschrocken als einen vermeintlichen Crash wahr. Mikrophone aus dem Bodensee übertrugen Geräusche an einen Lautsprecher, der auf dem Kirchturm in der Oberstadt installiert war. Auf ähnliche Art und Weise wurde in der ganzen Stadt mit den Stimmungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung gespielt. Eine Klangausstellung wurde im Palais Thurn und Taxis vorgestellt. Im Park konnte man mit einer elektronischen "Wünschelrute" ausgestattet einem vorgegebenem Pfad folgend auf Klangsuche gehen. War man auf dem richtigen Weg, so vernahm man ein Tape mit gregorianischen Chorälen, Wassergeräuschen, Geflüster und Gesprächsfetzen. Zu der Klanginstallation schreiben die Künstler: "Divining for Lost Sound verbindet zeitgenössische elektronische Technologie in Form von Radiowellen und elektromagnetischen Feldern mit dieser uralten Technik des Rutenganges. Die Arbeit versucht eine Überbrückung der Zeit. Sie versetzt das Publikum in die Rolle des Wünschelrutengängers, während sie ihm Klänge vermittelt, die es in die Vergangenheit zurück versetzen. Die Arbeit benutzt Technologien und Techniken, die von Leon Theremin um 1920 entwickelt wurden". Spoken for/Spoken about von William Furlong war eine oktophone Klangcollage aus einigen Stunden Tonmaterial. Bregenzer Passanten wurden elf einfache Fragen zu ihrer Stadt gestellt. "Fragmente wie einzelne Wörter, Sätze oder Umgebungsgeräusche wurden zu einem neuen Band zusammengesetzt." In dem Kellergewölbe des Palais fand man abschließend 4 stereophone Installationen bei denen mit Sampling-Technologie Wortfragmente bearbeitet wurden und durch einen HD-Recorder endlos wiederholt wurden. 
Alles ähnelte den unsrigen Ausstellungen in Emmendingen-Wasser oder Emmendingen, auch die Tatsache, daß der Autor dieses Artikels mit einer weiteren Besucherin allein das Auditorium darstellte. Hoffnung dagegen macht, daß es noch mehr Klangkünstler zu geben gibt, die unsere Pfade der Kunstauffassung zu gehen scheinen. Vergleicht man die Produktionen mit denjenigen, die bei ZeM-Veranstaltungen wiedergegeben werden, so kann sich das ZeM-Material mit allen messen und ist in keinster Weise von minderer Qualität, eher das Gegenteil ist der Fall.

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Historische Tonbandmusik

Am 2. Juni 1999 fand im Konzertsaal der Musikhochschule Freiburg die "vorEcho" Veranstaltung "Historische Tonbandmusik" statt. Das dortige Studio für Elektronische Musik des Instituts für Neue Musik bot in der Klangregie von João Rafael folgende Werke dar: 

"It´s gonna rain" von Steve Reich (1965). Diese ekstatisch gepressten drei Worte eines Straßenpredigers zur alttestamentarischen Sintflut montierte Reich im ersten Teil des Stücks zu Tonbandendlosschleifen, die zunächst unisono, dann kanonartig auseinanderlaufend, rotierende, ja hypnotisierende Wirkungen entfalten, bis sie zum Schluß wieder im Unisono zusammenkommen. Im zweiten, komplexeren Teil werden weitere Fragmente der Predigt ("knocking upon the door, let´s showing up, alleluja god, I didn´t see you") eingeführt, wobei aus zwei "Stimmen" mittels zeitlicher Verschiebung z. T. eine "Achtstimmigkeit" entsteht. Diese historische Aufnahme hat eine gewisse Aura, ja es haftet ihr eine Patina an, LoFi würden wir heute sagen. ZeM-Besucher kennen diese Machart sicher von vielen Weinholdschen "Oktophonien", Reich hat diese Methode eben 30 Jahre vorher für sich entdeckt.

"Epitaph für Aikichi Kuboyama" von Herbert Eimert (1962) arbeitet auch ausschließlich mit Sprachklängen, allerdings sauber in Studio des WDR aufgenommen. Es geht jedoch in der Bearbeitung wesentlich weiter als das Reichsche Stück. Im ZeM-Archiv ist eine Originalaufnahme des Komponisten vorhanden, die eine hervorragende Werkeinführung bietet, indem die einzelnen Bearbeitungsschritte separat demonstriert werden. Trotzdem gehe ich etwas ins Detail: Ausgangsmaterial ist eine Grabinschrift, ins Deutsche übersetzt von Günter Anders. Nur die ersten Worte sind noch verständlich, danach werden alle damals technisch möglichen Verfremdungen eingesetzt, Timestretching, Looping, Pitch-Shifting würden wir heute dazu sagen, dazu jede erdenkliche Art von Schnitten und Neuzusammenstellungen des Audio-Materials, bis weit unter die Silben-Ebene in den Bereich der einzelnen Phoneme hinab. Das Werk ist wohlstrukturiert, zuerst kommt die Einleitung mit dem noch verständlichen Sprecher, die dann überblendet in den ersten Teil der Verfremdung, in dem gleitende Tonhöhenveränderungen dominieren. Im zweiten Teil treten impulsartige, durch die Schneidetechnik erzeugte Verfremdungen hervor, während im dritten Teil sehr tiefe, posaunenartige, zähflüssige Strukturen vorherrschen. Möglicherweise kommt hier die Röhrenfilterbank des Studios mit sehr starker Resonanz zum Einsatz. Eimert sagt dazu in seiner Werkeinführung leider nichts, man kann es nur an Hand der Eimertschen Streichquartettbearbeitungen auf demselben Tonträger vermuten. Den Schlußteil bildet eine langsam aus der Stille hervortretende Struktur, die in den nun wieder verständlichen, abschließenden Worten "als Namen unserer Hoffnung" endigt. Sicherlich ein hochinteressantes Dokument und schönes Werk, doch eine Frage stellte sich mir dabei schon immer: wenn der größte Teil des zu Grunde liegenden Poems absolut unverständlich bleibt, hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn der Sprecher das "ABC" aufsagt, oder aus der Zeitung vorliest. Akustisch wäre das nahezu gleichwertig. Wieso also dieser Text? Das ist der Programmhefttrick, oder Aufhängertrick. Einfach so für sich hat diese Musik für den Zuhörer wenig Bedeutung. Durch das Programmheft und durch den Aufhänger "Opfer der Wasserstoffbombe" ist das anders. Eine glänzende PR im Zeitalter des kalten Krieges. Vielleicht hat die Geschichte Eimert ja auch wirklich bewegt, auf jeden Fall hat er hier alles richtig gemacht, das Stück sowieso, und auch die PR, und so ist es in jedem Lexikon als sein Hauptwerk aufgelistet. Möglicherweise würde das Band ohne Poem und mit "ABC", aber akustisch gleichwertig, in irgendeinem Archiv vor sich hin schimmeln und wir hätten nie dieses wirklich beispielhafte Stück zu hören bekommen.

"Studie II" von Karlheinz Stockhausen (1954) ist ein frühes Werk dieses "Pioniers der E.M." in serieller Kompositionstechnik. E.M. ist erstaunlicherweise auch heute noch, nach 46 Jahren, in vielen Köpfen synonym mit "Stockhausen", obwohl doch nur der geringste Anteil der Stockhausenschen Arbeit dieser Gattung zuzurechnen ist. Wir können daher vermuten, daß diese Werke sehr schockierend und damit öffentlichkeitswirksam waren. Gemäß der damaligen seriellen Doktrin wurde mit Sinustönen gearbeitet, deren Frequenz und Dauer durch recht komplizierte arithmetische Überlegungen, man könnte sagen Algorithmen, bestimmt waren. Es gibt in dem Werk Reihen von Tonhöhen und Tondauern, die sich kompositorisch entsprechen, indem sie auf denselben Faktor zurückzuführen sind, nämlich die 25. Wurzel aus 5. Die Zahl 5 spielt weiterhin eine Rolle, indem bis zu fünf Sinustöne ein Tongemisch ergeben, ein bis fünf Tongemische eine Element bilden, das wiederum fünfmal in der nächst höheren Hierachie-Ebene enthalten ist, usw. Man mußte 1954 wirklich total enthusiastisch gewesen sein, um die Handarbeit dieser Aufnahmen auf sich zu nehmen, denn neben der Rechnerei waren der Sinusgenerator vom Rundfunktechniker und das Tonband mit Schneid-Klebe-Vorrichtung nebst Zentimetermaß die einzigen Werkzeuge. Hunderte, ja Tausende von Einzeltonaufnahmen, von Schnitten, dann das Archivieren der Schnipsel bis zum Kleben, wobei die Zeitdauer der Töne in Bandzentimetern berechnet werden mußte. Das Problem des Serialismus war damals zweifach: herkömmliche Instrumente konnten die Klangfarbe nicht frei variieren, also war dieser Parameter dem Komponisten nicht zugänglich. Und herkömmliche Musiker konnten diese Partituren nicht spielen, ja sie weigern sich sogar. Insofern war die E.M. die einzige Möglichkeit zur Realisation der "totalen Serialität", wahrscheinlich war das die Motivation, die schwere Arbeit zu leisten.
Man hätte das Wort "Sinus" bisher eigentlich stets in Anführungszeichen setzen sollen, denn was man da hört, ist, bedingt durch die Bandsättigung, die Ausrüstung von 1954 und das Altern des Materials, keineswegs sinusförmig, sondern reichlich mit Verzerrungen versehen, wenn mehrere "Sinustöne" zusammen klingen, dann zusätzlich noch mit den entsprechenden Intermodulationsprodukten. 1954 war man gar nicht in der Lage, einen Sinus als solchen erkennbar aufzuzeichnen! Das birgt schon eine gewisse Komik in sich. Eine heutige Aufnahme des Werkes würde ganz anders klingen, da die geschilderten Artefakte wesentlich reduziert wären, die ganze Patina, das LoFi wäre dahin. Das zu Hörende entspricht also keineswegs dem theoretischen Überbau. Man hört keinen Sinus, und man kann die komplizierten, mühevoll konstruierten kompositorischen Beziehungen ohne Meßgeräte kaum nachvollziehen. Der Aufwand der Komposition und der Aufnahme steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis, man hätte genauso gut die Sinusschnippsel zufällig aneinanderkleben können, über weite Strecken würde man den Unterschied gar nicht bemerken. Dafür sorgen schon die erwähnten Artefakte. Die Komponisten haben das sehr bald gemerkt, und so war der Serialismus in der strengen Form auch für die Avantgarde sehr schnell erledigt. Natürlich macht es sich hinterher besser, wenn der Komponist einen genau ausgearbeiteten Plan nebst Partitur einreichen kann, anstatt einfach zu sagen: "ich habe es gemacht, wie es mir in diesem Moment richtig erschien". So sind eben die Gepflogenheiten im Geschäft.

"Visage" von Luciano Berio (1960/61) arbeitet wieder mit Sprache, aber diesmal ist keine Verfremdung festzustellen, das Tonband dient nur zur reinen Aufnahme der Vokalakrobatik der Sprecherin/Sängerin. Alle Möglichkeiten der Stimme, vom Flüstern bis zum Brüllen kommen zum Einsatz, in verschiedenen Sprachen, aber selten verständlich. Demgegenüber sind die elektronischen Komponenten des Werkes dezent, mir fast nicht mehr erinnerlich. Mir war die dem Stück innewohnende Information zu dürftig, d. h. es wurde irgendwann langweilig, außerdem geht einem die Stimme nach einiger Zeit ziemlich auf die Nerven. Wenn das die Absicht des Komponisten war, so ist dieses Ziel zu 100% erreicht worden. Als anekdotische Randnotiz sei erwähnt, daß das Werk 1960 der Zensur zum Opfer fiel, bestimmte Stöhn-Passagen waren den Sittenwächtern offenbar suspekt, vielleicht ein kleiner Skandal, der den Eintrag in die Musikgeschichtsbücher noch stets erleichtert hat. Möglicherweise wäre diese Aufnahme sonst heute bereits vergessen.

Nach der Pause kam das oktophone "Persepolis" von Iannis Xenakis (1971) zur Aufführung, eine konzertante Audio-Version eines Multimedia-Laser-Fackeln-Feuerwerks-Spektakels über die Hauptstadt des altpersischen Reiches. Eine Stunde lang wogten sehr geräuschhafte Strukturen durch den Raum, 55 Minuten zu lang, wenn Sie mich fragen. Nach einer Weile hat man sich mit dem oktophonen "rosa Rauschen" abgefunden, man beginnt, eher stimuliert durch den Prospekt, sich Schlachtenlärm, das Rauschen der Geschichte vorzustellen, genauso wie man auf einer weiß gekalkten Wand nach einer Viertelstunde die tollsten Figuren und Visionen erkennen kann. Auch hier wurde zu lange zu wenig Information geboten, und dann wird es langweilig. Ohne Multimedia war der Bezug auf Altpersien überhaupt nicht nachvollziehbar, wie denn auch, dies kann reine Musik nicht leisten, dies kann nur das Bild, der Text, das gesprochene Wort. Aber es klingt zugegebenermaßen sehr interessant als Werkstitel. Eine Variation des Programmhefttricks. "Persepolis" macht eben mehr her als "60 Minuten rosa Rauschen" oder "Studie I". Es ist eben immer dasselbe, Komponisten glauben, daß ihre Musik nicht alleine bestehen kann, es muß eine Geschichte dazu her, eine Theorie oder wenigstens eine tolle grafische Partitur. Die Erfahrung gibt ihnen wahrscheinlich recht, nicht umsonst wird bei Kompositionswettbewerben ausdrücklich neben der Einsendung des DAT-Bandes, was ich verstehe, auch die Einsendung von "Begleitmaterial" verlangt, was ich nicht verstehe, die Juroren sollen doch ihre Ohren aufsperren und aufmerksam zuhören, und nicht dabei in Schrifttum blättern.

Insgesamt war der Besuch der Veranstaltung sehr lohnenswert, den wo und wann kann man Originalaufnahmen der klassischen E.M. sonst hören, und dies auch noch oktophon. Ich danke den Organisatoren für die sicher nicht unerheblichen Bemühungen, die Beschaffung der Aufnahmen, das Umkopieren auf ADAT, und des Restaurierens, der Zahn der Zeit nagt unerbittlich an den Originalbändern. Hoffentlich wird so etwas in Freiburg wieder stattfinden. Ich sage das so, weil die Zuhöreranzahl (ca. 35, wenn man von den Helfern einmal absieht) für eine Stadt wie Freiburg einfach beschämend war, noch dazu an einer Institution wie der Musikhochschule. Die wenigen Zuhörer verloren sich im Konzertsaal, wo waren die Studenten, wo die Professoren? Es handelte sich doch immerhin um "bekannte Werke bekannter Komponisten" dieses Jahrhunderts, um echte Klassiker, nicht um irgendwelche Neutöner. Niemand verlangt, diese Musik zu mögen. Aber man muß doch wenigstens die geschichtliche Relevanz akzeptieren. Man stelle sich ein Physikseminar im Jahre 2000 vor: Relativitätstheorie? Nie gehört. Quanten? Was ist das? Das wäre undenkbar. Aber an einer Musikhochschule geht das offenbar glatt durch. Ist die Musik dieses Jahrhunderts von Interesse an dieser Hochschule, in dieser Stadt? Offenbar nicht. Das gilt nicht nur für Freiburg (siehe Bregenz), und ich würde sogar vermuten das gilt im ganzen deutschsprachigen Raum.

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Torbe Reyber

Interview mit einem Neo-Trautonisten

Das Trautonium ist eines der ältesten Elektrophone (um 1930). Die wichtigste Eigenschaft ist die stufenlose Tonhöhen- und Tonstärkenkontrolle über die "magische Saite". Mehr über dieses faszinierende Instrument ist z.B. im "Synthesizer von Gestern"-Buch, Teil 2 von Mathias Becker zu erfahren oder im Internet und (www.deutsches-museum-bonn.de). Ich habe Dr. Jörg Schmitz (JSchmitz at patho punkt bonn punkt com) in einer Mailing Liste für elektronische Selbstbauinstrumente kennengelernt. Als er seine Fortschritte beim Selbstbau eines Trautoniums beschrieb, war ich sofort begeistert. Mit diesem Mann wollte ich gern ein Interview machen. Das Interview fand dann als mehrfacher E-Mail-Austausch statt und ich habe einige Bilder und Zeichnungen vom Autor bekommen.

 

t.r.: Viele Mediziner waren exzellente Musiker. Wie kommst Du ausgerechnet auf elektronische Musik? Warum nicht Geige oder Klavier?

j.s.: Dafür gibt es biografische Gründe, ich bin im Ausland (Marokko, Togo, Nigeria) aufgewachsen. Dort war an eine musikalische Ausbildung nicht zu denken. Musik hat mir aber immer viel Spaß gemacht, und ich habe sehr viel Musik gehört. Wieder in Deutschland nahm ich dann Geigenunterricht. Das hat so lange Spaß gemacht, bis die Geigenlehrerin einmal sagte: "Na, richtig gut wird man auf der Geige sowieso nur, wenn man sie mit 3 Jahren zu spielen beginnt". Da war ich dreizehn und das war's dann auch mit der Geige. Irgendwann hörte ich dann "War of the Worlds" von Jeff Wayne, Jean Michel Jarre und Kraftwerk, auch Wendy Carlos, alles Musik, die mich stark beeindruckte. Zwei Jahre später - ich wollte unbedingt selber elektronische Musik machen - kaufte ich mir einen MS20, den ich 4 Jahre hatte. Mit selbsterlernter Klaviertechnik, einer Tonbandmaschine mit Echo-Funktion sowie dem MS20 habe ich dann in der Schule Experimente gemacht.

t.r.: Wie kommt man dann noch auf den Selbstbau? Du bist ja Pathologe..., ich habe früher alle Verwandten genervt, weil ich jedes Spielzeug sofort aufgemacht habe, um zu sehen, wie das funktioniert. Jetzt nach 30 Jahren kann ich es aufmachen, und danach auch wieder zumachen, so daß es sogar besser funktioniert... ist es so etwas ?

j.s.: Nein, das hat mit Pathologie und dem Aufmachen nichts zu tun (übrigens: der Pathologe, nur um dieses Vorurteil kurz aufzugreifen, macht sehr selten Sektionen an Verstorbenen. Es geht im wesentlichen darum, Diagnosen an chirurgisch entfernten Geweben zu machen, also zum Beispiel : ist der Leberfleck, den der Hautarzt entfernt, vielleicht doch bösartig? Es ist vielmehr die Einsicht, daß die Dinge, die Du im Laden kaufen kannst, meist nicht das bieten, was Du willst. Zum Beispiel ein Kästchen für den Tisch, in dem ein Joystick, ein paar Wheels und ein Step-Sequencer untergebracht sind. Damit kann man wunderbar die modularen Synths im Hintergrund ansteuern, ohne zwischen den Kabeln durchpfriemeln zu müssen. So etwas gibt's nicht zu kaufen, also hab´ ich das selber gebaut. Auch der Preis spielt eine Rolle. Selbst das preiswerte (und übrigens gar nicht sooo schlechte) A-100 System kann man durch Selbstbau noch billiger machen. Und für richtig witzige Sachen braucht man eben auch richtig viele Module, der Spaß wird also teuer. Und das Gehalt als Assistenzarzt in der Pathologie ist nicht besonders üppig.

t.r.: Und jetzt Trautonium. Ist das nicht total out?

j.s.: Ich weiß nicht. "Out" kann nur etwas sein, was mal richtig "in" war. Und das gilt fürs Trautonium ja nun nicht. Wer kennt schon den Namen "Oskar Sala", oder gar das Instrument, auf dem er spielt ? Natürlich ist es nicht MIDI-fähig (was mit einem Microcomputer oder Microcontroller wahrscheinlich gar kein so großes Problem wäre), und einigermaßen begrenzt in seiner Anwendungsmöglichkeit. Aber es gibt ja auch Spezialinstrumente in der EM, ein blödes Beispiel: die TB303 wird nur in ein oder zwei ganz speziellen, aber im Unterschied zum Trautonium sehr erfolgreichen Musikstilen verwendet.

t.r.: Ach so, ich dachte immer, es gäbe überhaupt nur ein einziges, ständig wiederholtes Stück in dieser Art von "E.M.". Kleiner Scherz. Nun gut. Für mich ist gerade ein entscheidender Vorteil, daß ich bei elektronischer Musik von diesem stupiden Üben wegkomme, weg von dieser Mechanik, hin zu kreativem Gestalten. Ich laufe ja z.B. auch nicht mehr zur Arbeitsstelle, sondern benutze ein Hilfsmittel (Auto, Fahrrad). Ist das Trautonium nicht ein Rückfall in die gute alte Virtuosenzeit?

j.s.: Im Grunde stimmt das. Ich frag mich manchmal auch, warum ich das nachbaue. Es ist vielleicht einfach, weil es etwas Besonderes ist. Nur Oskar Sala hat so etwas. Und er macht darauf eine Musik, die einzigartig ist. Diese Einzigartigkeit wird zu 90% von Oskar Sala bestimmt, aber 10% davon sind auch dem Instrument zuzuschreiben. Man kann damit Sachen machen, die mit keinem anderen Instrument möglich sind. Es gibt zwar von Oberheim (?) so eine Art Touch-Pad, welches 5 "Klavieroktaven" lang ist. Wenn es noch drucksensitiv wäre (ich weiß nicht, ob es das ist), käme man schon so in etwa dahin. Aber das Bandmanual ist irgendwie griffiger. Natürlich auch eine Herausforderung. Und ich weiß nicht, ob ich es überhaupt jemals so gut spielen kann, daß man das Ergebnis Musik nennen darf. Die "gute alte Virtuosenzeit" hat für mich eigentlich nichts negatives. Ein Virtuose legt seine kreativen Gestaltungsmöglichkeiten voll und ganz in ein Instrument, daß er perfekt beherrscht. Jemand, der es versteht in kurzer Zeit ein x-beliebiges Modulsystem perfekt zu patchen, und dabei gutklingende Sachen zustandebringt, ist für mich auch ein Virtuose. Im Grunde jeder Künstler, der von einer größeren Allgemeinheit gerne "konsumiert" und geschätzt wird, und zwar aufgrund seiner Einzigartigkeit. Virtuose auf dem Gerät werde ich nie sein, und wahrscheinlich wird es auch nie eine Aufnahme geben. Ich habe es für mich gebaut, weil es mir so sehr gefällt (das Konzept, der Klang, die Spielweise). Der Vergleich mit dem Fahrrad/Auto ist gut. Man könnte nämlich erwidern: wenn man zu Fuß läuft, bekommt man seine Umgebung am besten mit. Man hört und riecht und sieht alles am ausgiebigsten, woran man vorbeiläuft. Aber natürlich ist es richtig, das elektronische Musik den Vorteil hat, daß jemand, der kein Instrument spielen kann, aber trotzdem musikalisch ist, immer etwas brauchbares zustande bringt. Das gilt für das Bandmanual nicht.

t.r.: Na, na, na, nicht so pessimistisch. Sala war Pianist (soweit ich weiß), hat also vor dem Trautonium die Saiten nie berührt. Ich denke, wenn jemand soviel Aufwand betreibt, wird er sicher hinterher das Instrument recht gut beherrschen. Und schließlich kommt es ja nicht unbedingt darauf an, möglichst viele Töne in möglichst kurzer Zeit abzusondern, in diesem Falle würde ja das Ohr die Besonderheit des Trautoniums gar nicht mehr erfassen können, d.h. die Slides, das Vibrato, das Anschwellen, das alles benötigt doch Zeit. Insofern sind die Chancen, das Instrument zu beherrschen doch gut.

j.s.: Ich hoffe es.

t.r.: Könnte man das Problem der Spielgeschwindigkeit nicht dadurch umgehen, daß man beide Spannungen (Saitenort und Saitendruck) mit einer genügend hohen Auflösung digitalisiert (wenn die Saite 50 cm lang ist, und 12 Bit einer Auflösung von 1/4096 entsprechen, dann ist das also eine Auflösung von 0.122 mm, das sollte reichen, und etwa 100 Samples pro Sekunde...), im Computer aufzeichnet, korrigiert, verändert usw. und hinterher beliebig schnell abspielt?

j.s.: Das wäre wirklich gut. 0.122mm reichen locker. Ich weiß nicht, ob es auf dem Markt CV-MID-Wandler gibt, müsste aber doch. Wenn jeweils SYSEX-mäßig zwei 7-bit-Worte pro Wert gesendet werden? Mit 2 solchen Wandlern könnte man das ja schon lösen. Einer für die Saitenspannung, der andere für Druck.

t.r.: Ich weiß nicht, ob die Auflösung von Midi ausreichen wird, ich dachte da eher an Computer-Meßkarten. Vielleicht geht es aber auch mit Midi. Ich sehe da aber Probleme bei der zeitliche Auflösung der Bewegungen.

j.s.: Ja, das dachte ich mir. Nur, Midi wäre vielleicht noch "universeller" nutzbar. Aber vermutlich diffiziler. Mit einer Meßkarte wäre das noch einfacher. Man müsste eine Software haben, die eine 5 oder 6-Kanal Meßkarte, 16 bit, unterstützt und gleichzeitig synchron zu irgendeinem Triggersignal die aufgezeichneten Daten abspielt. Dann könnte man das prima in ein analoges Setup einbinden. Das wäre was!

t.r.: Nun, diese Erweiterung ist ja recht unabhängig vom Instrument und kann auch später noch realisiert werden. Ich komme noch einmal auf des Motiv für die Mühen des Selbstbaus zurück. Das eigene Instrument nach eigenen Vorstellungen, ist das also höchster Ausdruck Deiner musikalischen Individualität?

j.s.: Ja. Es gibt so ein paar Sachen, Melodien, die mir in den Ohren liegen, die mit einem Bandmanual sehr hübsch klingen müssten. Und die eben nur mit einem Bandmanual gehen. Die will ich auf jeden Fall hinkriegen.

t.r.: Welche Eigenschaften sind für den Trautoniumnachbau geplant? 

j.s.: Vorab sei gesagt : ich baue kein Original-Mixturtrautonium. Es soll nur möglichst ähnlich funktionieren, wie das Trautonium von Oskar Sala, es muß aber nicht genauso aussehen. Ich will damit sagen: ich werde bestimmt keine wertvolle Eichenholzkonstruktion in Form eines Trautoniumschränkchens bauen, das dem Gerät im Museum 1:1 ähnlich sieht! Es wird ein zweimanualiges Gerät, einen subharmonischen Oszillator habe ich selber gebaut, der andere wird von Döpfer sein. Das wichtigste, nämlich das Bandmanual selber, hat einen Hub von 2,5 cm. Der Abstand der Saite vom Grundblech beträgt 1,5 cm. Die Drehachse des Gerätes ist kugelgelagert. Ich benutze - im Gegensatz zum Original - keine konische Federn, sondern zylindrische, die sich durch Drehen im oder gegen den Uhrzeigersinn in der Spannung verstellen lassen, d.h., man kann den mechanischen Gegendruck einstellen. Der Hub des Manuals wird mit einem Photowiderstand gemessen, der seitlich an der Achse angebracht ist. Auf einen Glycerinwiderstand habe ich verzichtet, ich denke mit einem Photosensor und einer anständigen Mechanik bekommt man so etwas auch hin. Der Photowiderstand wird in meinem Gerät von einem Streifen aus Pappe verdeckt, und je nachdem, welche Form dieser Streifen hat, kann man die Empfindlichkeit in verschiedenen Positionen festlegen. Ich habe 3 Streifen geschnitten, jeweils für hohe Empfindlichkeiten im Pianissimo- und im Fortissimobereich, und einen dazwischen. Diese Streifen kann man wechseln, aber bisher war mir der "Pianissimo"-Streifen der liebste. Das ist übrigens genau das, was Oskar Sala als Vorteil des Glycerinwiderstandes lobt: hohe Empfindlichkeit und Ausdruckskraft im Pianissimobereich.

t.r.: Der Pappstreifen verdunkelt also die Lichtquelle in Abhängigkeit vom Manual-Saiten-Niederdruck, durch die Form des Streifens läßt sich die Charakteristik wählen, das klingt sehr vernünftig. Es ist nicht einzusehen, warum man dafür unbedingt den berühmten Glycerin-Flüssigkeitswiderstand braucht, es sei denn, dieser macht auch irgend etwas in zeitlicher Hinsicht...

j.s.: Ja, das war auch meine Überlegung. 

t.r.: Ein Cadmium-Sulfit-Photowiderstand braucht ja recht lange, bis sich der Dunkelwiderstand einstellt. Vielleicht ist da eine Photodiode besser, weil schneller... Dann könnte man mit einem RC-Tiefpass die zeitliche Manualdruckcharakteristik sogar einstellen...

j.s.: Das ist wahr, ich habe natürlich auch mit Photodioden experimentiert. Ein RC-Tiefpaß kommt auch danach, so daß diese Modifikation ohne größere Umstände möglich ist. Da muß ich noch ein wenig herumprobieren, die Entscheidung fällt dann, wenn ich wieder 2-3 Tage Zeit finde, mich damit zu befassen. Im Moment weht ein rauher Wind im Bereich der Niedergelassenen Ärzte (wo ich ja angestellt bin), aufgrund der lausigen Gesundheitspolitik in diesem Lande. Deshalb wird jede freie Minute investiert, um unser Institut besser zu strukturieren. Das tut zwar nichts zum Thema, erklärt aber, warum ich im zur Zeit zu nichts komme.

t.r.: Wie weit ist das Instrument denn tatsächlich gediehen ?

j.s.: Ich hatte ja zuerst ein Manual gebaut, um zu sehen, ob ich das überhaupt hinkriege. Nachdem das geklappt hat, habe ich mich auf die zweimanualige Version gestürzt. Die zwei Manuale sind jetzt fast fertig (die Mechanik komplett, die Photowiderstände müssen noch angebaut werden). Ein Subharmonischer Oszillator ist auch betriebsbereit. Der Oszi besteht aus dem eigentlichen Subharmonischen (4 Sägezähne, jeder davon von 1/1 bis 1/16), die Amplitude jeweils spannungssteuerbar, dann für jeden Sägezahn einen VCF (Multimode), sowie einen Mischer mit VCA. Der VCA wiederum kann als zusätzliches "Bonbon" von einem LFO angesteuert werden, dessen Amplitude von einem Differentiator gesteuert wird. Der Differentiator bekommt als Eingang die Spannung vom Saitenhub. D.h.: je schneller die Saite heruntergedrückt wird, desto größer wird die Amplitude des LFO's. Das Ganze werde ich mit einem Schwellwert versehen, so daß bei nicht so schnellen Bewegungen die LFO-Amplitude 0 bleibt. So kann man sehr hübsch Einschwingtremolos wie bei einer Trompete erzeugen. Oder auch Einschwingvibrato, wenn das LFO-Signal zum Masteroszillator führt. Dieser muß übrigens ein VCO mit sehr hohem Frequenzgang sein. Bis auf die Schaltung mit dem "Bonbon" ist alles schon gelötet, mit Frontplatten versehen und in ein Holzkästchen eingebaut, d.h. der Subharmonische Oszillator läuft bereits. Dann muß ich sowieso erst mal üben, üben, üben, bis dann Döpfers subharmonischer Oszillator für das "2. Bandmanual" auf den Markt kommt. 

t.r.: Pedale sind nicht vorgesehen?

j.s.: Doch, ja. Ich habe zwei Pedale, die jeweils eine Spannung von 0-5 Volt ausgeben. Damit kann man die Gesamtlautstärke über den VCA steuern. Die Pedale sind selber geschustert, mit einem normalen Poti und etwas Mechanik. Vorrausgesetzt, die Potis sind wirklich gut, geht das ganz ordentlich. Die Pedale baue ich deshalb selber, weil eine zweite Funktion mit eingebaut werden muß, die sowieso nicht käuflich ist : der Schalter links und rechts. Auf dem eigentlichen Pedal ist ein zweites angebracht, welches um die vertikale Achse nach links und rechts drehbar ist. Dieses zweite Pedal betätigt am linken und rechten Anschlag einen Mikroschalter, das Signal wird dann über ein wenig Logik zu einem Analog-Schalter geführt, der drei Eingänge bekommt : den Master-Oszillator, Master/2 und Master/4. In der Pedalmittelstellung wird auf Master/2 geschaltet. Linker und rechter Schalter gehen auf Master bzw. Master/4. So bekomme ich genau das, wofür O. Sala seine Pedale hauptsächlich benutzt: Das Umschalten von Mixturen, die so eingestellt sind, daß das Mixturverhältnis gleich bleibt, aber die Tonlage jeweils um eine Oktave hoch oder runtergeht. So kann man sehr schnell Läufe über 3 Oktaven spielen, ohne die Fingerstellung wesentlich zu verändern. Da ist meine Methode genauso gut, benötigt aber nicht 3 Subharmonische Oszillatoren mit je 4 Teilern, sondern nur die Frequenzteilung des Masteroszillators. Was dann allerdings nicht möglich ist (kleiner Kompromiß) : man kann nicht zwischen 3 ganz verschiedenen Einstellungen wechseln.

t.r.: Das Oszillatorprinzip mit Teilern von 1/1 bis 1/16 ist wohl noch original?

j.s.: Nein, das ist es nicht. Sala teilt bis durch 1/24.

t.r.: Ach so, ja das stimmt. Das LFO-Bonbon ist sicher auch Deine Idee?

j.s.: Ja, auch das ist nicht mehr original, verbessert aber meiner Ansicht nach die Performance des Gerätes. Auch die Filter im Original sind lediglich Band- und Tiefpaß-Resonanzfilter, mit fest einstellbarer Eckfrequenz und Resonanz. Da habe ich mich für ein sehr hübsches Design entschieden, nämlich den EDP-WASP-Multimode-Filter, den Jürgen Haible mal in der Synth-DIY-Mailingliste ausgegraben hat. Ein feines einfaches Filterchen. Diesen Filter habe ich 4 mal gebaut. Ich glaube übrigens nicht, daß man die Teilerfaktoren 17-24 der Subharmonischen so häufig benötigt. Falls doch, muß ich halt noch mal modifizieren.

t.r.: Multimode-Filter heißt also State-Variable-Struktur, mit gleichzeitigem
Hoch-, Tief-, Band- und Sperrpass.

j.s.: Ja, der EDP-WASP hatte ein State-Var-Filter.

t.r.: Warum wartest Du auf den Döpfer Oszillator, wenn doch der eigene so gut funktioniert?

j.s.: Weil mein Oszillator nicht programmierbar ist. Außerdem, wie gesagt, teilt mein Oszillator nur bis durch 16, der von Döpfer aber wie im Original bis durch 24. Das größte Problem allerdings : mir fehlt einfach die Zeit, noch so eine Kiste zu bauen. Das war ein ganz schönes Gepfriemel, vor allem die paar hundert kleinen Kabel für die Teiler, zu den Schaltern, und wieder zurück! Ich habe keine gedruckten Schaltungen entworfen, für die Schaltungen. Das wäre auch zu viel des Guten, mit Kanonen auf Spatzen, sozusagen.

t.r.: Der Nachbau wird mit Halbleitern bestückt sein, anstatt mit Röhren?

j.s.: Nur Halbleiter. Mit Röhren kenne ich mich nicht aus. Außerdem habe ich eine Phobie vor höheren Spannungen als +/- 15 Volt.

t.r.: Das verstehe ich gut. Die Saite ist ja aus Metall... Sie macht zu einem guten Teil den Sound des Trautoniums aus, wegen der nur damit möglichen Glissandos, der Intonation. Das interessiert mich besonders. Wie kommt man zur magischen Saite?

j.s.: Ja, das ist knifflig! Ich habe eine Saite selber gewickelt, mit dünnstem Konstantandraht um eine lange, nicht gewickelte Gitarrensaite herum. Das ist allerdings nicht das Gelbe vom Ei: es dauert Tage, bis das Ding gewickelt ist, und man darf nicht den kleinsten Fehler machen, sonst ist die Arbeit ganz umsonst. Ich habe dann eine Firma aufgetan, die Cellosaiten herstellt. Die haben mir dann eine zweite Saite gewickelt, statt dünnem Kupferdraht eben Konstantandraht! Eine prima Saite! Die Saite wird dann bloß noch mit zwei Schraubklemmen zwischen den Polen der Stromquelle aufgespannt, und das war´s schon.

t.r.: Wie verhindert man einen Kurzschluß der einzelnen Wicklungen auf der Seite? Das würde doch alles unbrauchbar machen. Der Draht ist daher wohl isoliert. Wie entfernt man gezielt die Isolation ohne solche Nebenwirkungen?

j.s.: Genau, der Konstantandraht ist isoliert, rundherum. Nach dem Wickeln muß er ganz ganz vorsichtig mit feinstgekörntem Sandpapier abgeschliffen werden. Die Isolation zwischen den Drahtwindungen bleibt natürlich bestehen, abgeschliffen wird ja nur die Oberfläche. Man erkennt es (nachdem man 1-2 Saiten kaputtgeschliffen hat) an dem Glanz des Drahtes, aber auch, indem man nach kurzen Schleifphasen immer wieder mit einem Ohmmeter rangeht. Das Problem, wie gerade erwähnt : passt man nicht auf, schleift man sehr schnell an einer Stelle zu tief, und dann reißt der Draht recht schnell.

t.r.: Und wie kann man Kontaktprobleme zur Metallschiene unter der Saite vermeiden? Putzen mit Stahlwolle? V2A-Stahl?

j.s.: Die Metallschiene besteht aus V2A, richtig. Die wird regelmäßig mit einem Küchenreiniger für Stahlblech saubergemacht. Auch wenn ich, wie im Moment, nicht damit spiele. Die Saite wird ab und zu (ich glaube gar nicht, daß das überhaupt nötig ist, mache es aber trotzdem) mit einem Wattetupfer gesäubert, der mit Alkohol getränkt ist.

t.r.: Beim Originalinstrument verhält sich die elektrische Saitenspannung linear zum getasteten Ort, die Frequenz hängt durch die Thyratrons wohl in etwa quadratisch von der Spannung ab. Ich kann mir vorstellen, daß die Töne weiter oben dadurch immer dichter auf der Saite liegen, also immer genauer gespielt werden muß. Ist daran gedacht worden, etwa elektronisch eine Exponentialfunktion für die Tonhöhe zu berechnen? Diese müßte ja nicht so genau sein, wie sonst in den Synthesizern, hätte aber den Vorteil, daß alle Töne der temperierten Skala gleich weit voneinander entfernt wären ?

j.s.: Laut Oskar Sala ist die Mensur überall linear. Das ist ja das schöne an dem Gerät! Wenn man sich die Photos vom Spieltisch anschaut (Synthesizer von Gestern, Teil 2), erkennt man auch, daß die Hilfstasten über der Saite immer den gleichen Abstand haben, also auch bei den hohen Tönen. Dann muß das wohl stimmen, was Oskar Sala sagt. Bei meiner Schaltung spielt das aber sowieso keine Rolle : wie du schon sagtest, die elektrische Saitenspannung ist linear. Ich brauche also bloß einen ganz normalen Exponential-VCO als Master Oszillator, der dann die eigentliche Teilerschaltung des Subharm. Oszillators triggert. Dann sind alle Töne gleich weit voneinander entfernt. Der Expo-VCO braucht dabei nicht großartig temperaturstabilisiert werden, denn diese leichten Schwankungen gleicht man im Sinne des Wortes "spielend" aus.

t.r.: Sind auch überklappbare "Tasten" geplant, die einen Fixpunkt bieten? 

j.s.: Ja, unbedingt, aber das ist noch in zeitlich weiter Ferne. Ich hatte mit O. Sala darüber telefonisch mal gesprochen, und er sagte auch, daß diese Hilfstasten  wirklich sinnvoll und manchmal sehr wichtig sind. Ich habe da noch nicht so genau Vorstellungen davon, wie ich das genau bauen soll. Das wird mechanisch nicht ganz einfach, und ich möchte erst mal sehen, ob ich mit dem Instrument überhaupt klarkomme.

t.r.: Damit kommen wir auf den großen alten Mann, hast Du O. Sala besucht?

j.s.: Nein, leider hatte ich dazu bisher keine Zeit. Ich habe, wie gesagt mit Oskar Sala telefoniert, es ging einmal um die "magische Saite", das andere Mal wollte ich wissen, wie nötig für ihn die Hilfstasten über der Saite sind. Ich habe dann O. Sala noch einmal vor einem Jahr in Bonn bei einem "Konzert" erlebt, im deutschen Museum Bonn, live. Es war kein eigentliches Konzert, sondern eine multimediale Show mit Ton- und Bilddokumenten (qualitativ hervorragend gemacht!) von und mit Oskar Sala. Danach habe ich noch mit ihm geplaudert, er ist wirklich reizend.

t.r.: Ja, aus den Radio-Interviews höre ich einen besonderen Humor heraus. Was hält er von Dir, bzw. dem Nachbau? 

j.s.: Naja so weit war ich ja vor einem Jahr noch nicht. Ich hatte aber den Eindruck, daß er sich sehr gefreut hat, daß jemand daran denkt, so etwas nachzubauen. Ich bin ja auch nicht der Erste, der so etwas nachbastelt. Dieter Döpfer ist zur Zeit auch dabei, ein Trautonium zu bauen. (Auf seiner Homepage erklärt er übrigens das Instrument sehr schön!) Das Bandmanual läßt er, soweit ich richtig informiert bin, von einer Fremdfirma bauen. Die Elektronik (Subharmonischer Oszillator, Stromquelle für die Saite, Photowiderstandselektronik für Manualhub) hat er schon fertig. Döpfer hat mir geschrieben, daß Sala sehr interessiert an einer Zusammenarbeit war, er hat allerdings den Nachbau sehr sehr kritisch begutachtet, vor allem das Bandmanual. Das scheint ihm am allerwichtigsten zu sein. Z. B. besteht er bei einem Nachbau sogar auf einem Glycerinwiderstand! Das hat mir D. Döpfer gesagt. Man muß da schon gewisse Kompromisse eingehen, zwischen dem, was Herr Sala will, und dem was praktikabel ist. Bei mir ist es sowieso was anderes, ich will ja kein Gerät zum Verkaufen bauen, sondern für mich.

t. r.: Ich danke für die interessante Korrespondenz.
 

Trautonium Bedienoberfläche:

Bandmanual Prinzip

Bandmanuale von vorne:

Bandmanuale von der Seite:

 
 

s.a. Elektrische Musikinstrumente. Ein historischer Rückblick mit zeitgenössischen Dokumenten.6.Teil: Saitenspiele (1).Das Trautonium  - ZeM  Nr. 15 (September 1994)

 

 


Klaus Weinhold

Unzeitgemäße Betrachtungen

Am Ende einer Epoche, nach fast 20 Jahren elektronischer Musikproduktion oder soll man sagen technologischer Komposition, lohnt es sich, kurz inne zu halten und einige persönliche und sachliche Betrachtungen anzustellen. Die persönlichen Bemerkungen begännen sicher mit "ich will, ich möchte" oder "ich wollte", die sachlichen werden sich auf ein "es ist" oder "es ist nicht" beschränken. 
Die Betrachtungen, was auch immer "betrachten" bedeuten mag, sei es visuell oder intellektuell, richten sich vorwiegend auf den Hintergrund unserer Arbeit, die zu gestalten in den letzten 20 Jahren die Aufgabe gewesen ist. Ein Sachverhalt, der nur sehr schwer zu begreifen und zu benennen ist: Elektronische Musik. Was ist das eigentlich? Es wird bei einer Annäherung nicht nur an die Sache, sondern an die Frage allein bleiben. Die Betrachtungen sind eigentlich sehr zeitgemäß, denn das, was das vorige Jahrhundert an musikalischen Errungenschaften hervorgebracht hat, sind nicht etwa neue klassische traditionelle Instrumente, sondern eben unsere neue Musiktechnologie, die im Computer oder DSP oder bestimmten neuen Instrumenten oder z.B. im Pulsar-Programm sich realisiert.
Die Betrachtungen sind sehr unzeitgemäß, denn es gibt zwar in diesen Jahren unzählige, hochqualifizierte, hoch subventionierte, von Besuchern überfüllte Musikfestivals, in denen aber eins total ausgespart wird: eben die neue experimentelle Musiktechnologie. Statt der DSPs stehen im Mittelpunkt die mechanischen Musikvirtuosen, die das musikalische Feld wohl auch weiterhin beherrschen werden. 
Unsere Soundproduktionen sind zeitgemäß und werden als solche wohl auch später vielleicht sogar in die Geschichte eingehen. In diesen Jahren jedoch sind sie "daneben", unzeitgemäß und mögen sogar auf Ablehnung des Rezipienten von jedweder Kunst- und Kulturproduktion stoßen: des Menschen. Wenn wir die Zeitgemäßheit, die Angemessenheit der DSPs als den Produzenten der Elektronischen Musik fragen, so ist grundlegend die Situation des Menschen, so wie er ist, zu betrachten. Was will der Mensch eigentlich auf der Welt? Will er dem Menschen und seinen Produkten begegnen oder strebt er danach, die Natur und ihre Kombinationen zu erkennen? Ist der Mensch, müssen wir fragen, ein natürliches Wesen, das die Natur zu erkennen und wahrzunehmen gedenkt, oder ist er ein kultürliches Wesen, das die Kultur, selbstverständlich als Erlebnis zurechtgemacht, genießen will? So verschiebt sich die Fragestellung von zeitgemäß und unzeitgemäß auf natürlich und kultürlich.
Mit das großartigste Produkt der menschlichen Kultur ist nun einmal die Musik. Musik ist heute überall gegenwärtig, sie ist immer dabei, beim Essen, Einschlafen, Aufstehen und bei der Arbeit. Über Musik ist viel gesprochen und diskutiert worden, der Kernpunkt dessen, was sie tut, ist: sie tönt die Wirklichkeit in unnachahmlicher Weise zurecht. In der Musik wird dem Menschen eine schöne, perfekte, in sich stimmende, wohltuende, sogar übersinnliche, göttliche Welt angeboten. Wer sollte da nicht zuhören? Die Musik mit ihrem zugrunde liegenden theoretischen System lässt sich tatsächlich aus dem Naturfaktischen herausfiltern. Es kann sogar sein, daß musikalische Phänomene sogar in der Natur auftreten, man denke an das Singen der Vögel (Tonhöhen) oder an stabile Frequenzzustände in Wasserfällen oder an das relativ leichte Erlernen von stabilen Tonhöhen mit der menschlichen Stimme. 
Doch, ganz kurz gesagt, hinter diesem phantastischen und wohl geordneten Vordergrund befindet sich eine ganz andere Welt. Ein kurzer Vergleich sei aus der Mineralogie angeführt: natürlich kann Granat irgendwann entstehen. Die Masse der vorkommenden Minerale sind sehr komplexe und komplizierte Aggregate von Elementen. Der Ton mit seiner mineralischen Stabilität ist ein eigentlich nie vorkommendes Ereignis, hingegen sind die Frequenzaggregate, besser Geräusche, das überall und zu jeder Zeit Vorherrschende, Unbestimmte der Natur. Und diese akustischen Aggregate sind mit den DSPs und den elektronischen Geräten erstmalig im vorigen Jahrhundert in der Welt ermöglicht worden, so wie man andere Entdeckungen in der Unter- und Überwelt zur gleichen Zeit gemacht hat.
Wir kommen zum Unzeitgemäßen der Musiktechnologie, die wir Elektronische Musik nennen: sie bietet keine Edelsteine, sie bietet keine stabilen Zustände, sie bietet keine Gerichtetheit, keine Orientierung, sie bietet nichts, was den Menschen in seiner kultürlichen Prägung auch nur annähernd befriedigen könnte. Die DSPs bieten klanglich alles, wertlos, unbewertbar, unbestimmbar und das noch kompliziert und komplex. Damit ist der Grund für die immer währende Unzeitgemäßheit der komplexen DSP-Klänge gegeben. So etwas will der Mensch nicht, und es scheint auch dem "Kulturell" des Menschen zu widersprechen. Und trotzdem: die DSPs, die nur stellvertretend für x andere computergesteuerte Geräte stehen, machen eine andere Klangwelt möglich. Aber der Naturklang ist da und wird den Kulturklang verändern. Kommen wird das sich ergebende Festival aller Klänge und Geräusche. 
Was klassische Musik ist, muß nicht formuliert werden: sie ist in sich homogen, bestimmt und bestimmbar und sie ist komponiert. Ob die Welt so ist wie die Musik, mögen viele glauben. Auch Bach hat es sicher geglaubt. Wir können es nicht mehr glauben. Für uns ist die Welt das Gegenteil des oben Genannten, nämlich ein inhomogenes, unbestimmbares Aggregat. Ein letzter Vergleich zur Natur, nicht eine Musik wie Edelsteine, sondern gneisartige Geräusche, die man quasi als Abfall auf Halde schüttet, kann die Elektronische Musik erzeugen.
Der Weg der 20 Jahre ging von preislich erschwingbaren Rehberg-Geräten, die noch heute als unzeitgemäß und damit als überzeitlich betrachtet werden können, hin zu neuesten softwaregesteuerten Modularsystemen wie dem Reaktor. Räume können mit einer Vielzahl von Lautsprechern beschallt werden, jeder nur erdenkliche Klang kann in jeder Kombination dem Ohr zugeführt werden. Der Kulturklang der klassischen Musik löst sich in Rauschen auf, aus dem Rauschen entsteht eine einfache Sinusschwingung. Jede Unterscheidung ist aufgehoben, die Welt wird umfassender Klang. Das war ein sachliches Ziel - denn es ist möglich - und ein persönliches Ziel - denn es hat mich interessiert.
Der Unterschied zwischen dem Unzeitgemäßen und Zeitgemäßen ist aufgehoben, die Kultur ist überwunden, und mit den DSPs, die wieder stellvertretend für alles Elektronische stehen, können wir zur Natur zurückfinden: die unendlich endlose Kombination endlicher Elemente. Das Hören dieser sich produzierenden Kombinationen wird unendlich faszinierend für uns sein, für den kulturell gebildeten Musiker jedoch nur eines: langweilig. Und darin liegt unsere Unzeitgemäßheit. 
Es gab sie: die neuen Instrumente, die DSPs, die Software, und ich durfte sie bedienen. Aber das genügte mir nicht ganz, ich wollte den Kulturmenschen auch ein bisschen zur Natur zurückführen, indem er die Musik nicht sieht, sondern sie vielleicht ganz leise hört, indem er zuhört und dann eines ist: erstaunt über die Vielfältigkeit eines möglichen Soundpolyversums.

 

 


Stephan Kirchhoff

Zwielichthüllen - Gedanken zur Mediatorischen Musik

Durch die Ausschaltung der kompositorischen Absicht - durch das Mittel der Reduzierung auf das Medium für sich, nähert sich mediatorische Musik - insofern Musik schon immer vermittelnd ist - dem Wesen ihrer selbst. Aufgrund des Willens zur konzeptionslosen Willenlosigkeit kann diese Musik nur vom hören selbst her verstanden werden, sie ist gleichsam Spiegel der individuellen Wahrnehmung - das eröffnet kontroverse und pluralistische Beurteilungen. Es scheint, daß mediatorische Musik etwas erzeugt, was sie gar nicht beabsichtigt: eine Diskussion um subjektive Standpunkte wird dieser Musik jedoch nicht gerecht. Mediatorische Musik will lediglich wertfrei mitteln, sie will beurteilungsfrei wahrgenommen werden und sie hat eine Wirkung auf den Hörer, ist Wirkung an sich. Diese Wirkung kann als haltloses Ausgeliefertsein erfahren werden, denn hören bringt das Außen nach innen.
Das Hören begegnet dem Nichts, dem es haltlos ausgeliefert ist, denn nicht Erwartungen, nicht Vertrautes begegnen ihm, sondern das Unerwartete, das zeitlos aktuelle. Dies zwingt es seine Vorstellungen aufzugeben, zwingt es sich dieser Musik auszuliefern und sich zu entmächtigen. Diese Musik erzwingt die Aufgabe der subjektiven Projektionen. Hüllen- und haltlos hat es zu erkennen, daß es nichts erkennen kann.
Dabei macht diese Musik jedoch die Komplexität der Realität zugänglich und fordert somit auf zur Differenzierung, und genau das ist das Neue dieser Musik. Sie ermöglicht in einer Entsubjektivierung dem Hören ein subjektiv-ganzheitliches Gewahrwerden seiner selbst.
In einer selbstvergessenen Verwiesenheit auf sein eigenes Wesen führt sich das Hören selbst durch den Zustand der eigenen Ohnmacht, wessen will es sich denn auch bemächtigen, vom ich zum nichts. Es wird selbst, solange es den Willen zur Bemächtigung aufgibt, zum Spiegel hinter den Spiegeln, zum mediatorischen Medium. Dies aber ist ein Akt der Transzendenz, und dies ist schon immer das Wesen der Musik, daß sie Transzendenz ermöglicht.

 

 


Gerda Schneider

Max - eine Alternative

Beim Hören von Musik stellt sich immer wieder die Frage: Soll man einfach nur zuhören und die Musik auf sich wirken lassen? Oder wird der Genuss erhöht, wenn ich etwas darüber erfahre, wie diese Musik gemacht ist?
Die Antwort hängt nicht nur von der Mentalität des Hörers ab, sondern auch von seinem Musikverständnis, das ihm im Laufe seines Lebens vermittelt und anerzogen worden ist. Wir gehen davon aus, dass Musik nicht nur gehört, sondern auch erkannt werden soll und dass Erläuterungen zur Elektronischen Musik, wie ZeM sie präsentiert, notwendig sind, weil sie eine grundsätzlich alternative Musik ist.
Alternativ heißt u.a., dass man sich nicht innerhalb der eingefahrenen Bahnen bewegt, sondern innovativ neue Gebiete erschließt. Diese Aussage bezieht sich sowohl auf die Art dieser Musik als auch auf deren Präsentation. Um eine solche Musik zu produzieren, kann deshalb auf das moderne Medium Computer nicht verzichtet werden. Er macht das möglich, was zuvor nur denkbar und kaum realisierbar war. Der Produzent alternativer Musik in diesem Sinne kann sich dabei auf Programme stützen, die ihm schwierige Programmierarbeit abnehmen. Eines davon ist MAX, entwickelt bei IRCAM in Paris seit 1986.
Was ist MAX? Eigentlich eine Lebensaufgabe, wenn man es voll ausnützen wollte. In der Einleitung heißt es, es stoße an die Grenzen des gewöhnlichen Sequenzer- oder Klangprogrammes für MIDI. Was das heißt, wird dann im Folgenden ausgeführt: u.a. ist es ein graphisches Programm zur Steuerung von musikalischen Events in Echtzeit - ein unendlich weites Feld der Möglichkeiten, auf musikalische Prozesse einzuwirken. Eine dieser Möglichkeiten soll nun vorgestellt werden.
Bisher war ich gewohnt, mit dem Editor-Programm von Franz M. Löhle frequenzmodulierte Klänge für den TX81Z von Yamaha zu programmieren. Vier dieser Klangerzeuger wurden auf verschiedenen MIDI-Kanälen mit Prozeduren angesprochen, die für den Atari Falcon Computer geschrieben waren. Auf vier voneinander getrennten Kanälen wurden diese Klänge hörbar gemacht. Nach längerem Experimentieren entschied ich mich grundsätzlich für eine Programmierung des Ablaufs ohne Sequenzer bzw. ohne Zeitschiene: die gerichtete Zeit sollte aufgehoben sein, der Ablauf der Klänge sich in ähnlicher Weise wiederholen, in einer Art Spirale, mal auf, mal ab, mit zufälligem Anfang und Ende. Diese großartige und faszinierende Möglichkeit bietet m. W. kein Sequenzerprogramm, kann aber mit einem einfachen Computer wie dem Falcon realisiert werden.
Hier zeigt sich eine "Geistesverwandtschaft" zu MAX: der Versuch, die Grenzen eines Sequenzerprogramms zu überschreiten. Und dieser Punkt war auch der Anreiz für mich, mich auf das Abenteuer MAX einzulassen, zumal MAX nur auf dem Apple Macintosh Computer läuft. Doch wie sollte ich mit MAX arbeiten können, da ich für die Eingabe kein Keyboard benutze? Dank MIDI konnte die Kommunikation hergestellt werden: Falcon steuert Mac.
Nun gibt es im MAX ein Objekt namens Pipe, mit dem die eingegebenen Events mit einer beliebig programmierbaren Verzögerung wieder ausgegeben werden - so etwas wie einen MIDI-Prozessor. Dieses Objekt hat es mir nun angetan, da mit ihm raumfüllender Klang unabhängig von der Lautstärke realisiert werden kann. 
Einerseits spielt der Falcon den TX81Z, dessen Klänge zugleich mit SYSEX in Echtzeit nach bestimmten Algorithmen verändert werden, zugleich werden diese Events über MIDI an den Mac geschickt, der sie - nach beliebigen Algorithmen verzögert - als MIDI-Information an den TX81Z weitersendet (s. Abb.).
Dabei entsteht nicht ein einfaches Echo, also die Wiederholung des gleichen Klanges, vielmehr erreicht die MIDI-Information des Mac durch die Verzögerung den TX, während dieser bereits über SYSEX den Klang verändert hat, und es kann nach dem Zufallsprinzip die MIDI-Eingabe des Falcon vom Mac auf einem anderen Kanal ausgegeben werden, so dass ein Gerät angesprochen wird, das gerade eine andere SYSEX-Einstellung hat als das vom Falcon angesprochene.
Auf diese Weise entsteht ein Ablauf von Klängen und Klangveränderungen, die sich ähnlich sind, deren Veränderung aber wahrgenommen werden kann. Es entsteht nicht einfach eine Verdoppelung, sondern eine Verdichtung, mehr Komplexität und damit eine stärkere Durchdringung des Raumes mit Klang - eine faszinierende Möglichkeit, Klänge zu gestalten und zu verändern, den Klang zum Raumklang und den Raum zum Klangraum werden zu lassen.

 

 


Philipp Schmidt

Kraftwerk, ein Essay (2)

[Fortsetzung aus Heft 22 ]

1973: Ralf und Florian

Dieses Album kann als Übergang angesehen werden. Sowohl musikalisch als auch vom Konzept der Gruppe her war man an einem Wendepunkt angelangt.
 

Musik

Die Musik besitzt eine weichere, sanftere Atmosphäre, der Sound ist wesentlich klarer als auf den Vorgängern und wird von einem elektrischen Piano und etwas schmiegsameren, elektronischen Percussions bestimmt. Außerdem kontrastieren die mechanischen Klänge nicht mehr so stark mit dem Hintergrund, sie sind vielmehr ein integrierter Bestandteil der Musik. Auch werden auf Ralf und Florian erkennbare oder zumindest Anzeichen von erkennbaren Pop-Melodien verwendet. Zum ersten Mal wird auch so etwas wie Text eingesetzt. Wie schon im Rhythmusbereich war es eine technische Neuerung, die den Sound von Kraftwerk weiterentwickelte: die Worte Ananas Symphonie werden im gleichnamigen Stück von einem Vocoder gesprochen. Wichtig im Gegensatz zu den Vorgängeralben ist auch der Versuch, tanzbare Musik herzustellen.
 

Image

Ebenso wichtig wie diese deutliche Weiterentwicklung der Musik ist jedoch auch die noch stärkere Konzentration auf ein passendes Image. Ein neues Mitglied des Kraftwerk-Konzeptes, Emil Schult, wurde in den folgenden Jahren so etwas wie ein CI-Designer [CI = Corporate Identity, d. Red.]. Er entwarf Plattencover und in endlosen Sitzungen wurden das Konzept und Image von Kraftwerk diskutiert und ausgefeilt. Man wollte das ernsthafte Experimentierer-Image abschütteln. In der Tat wirkten sie schon nicht mehr wie Musiker, sondern viel eher wie exzentrische Wissenschaftler.
 
 
 

Summe Phase 1

Insgesamt signalisierte Ralf und Florian das Ende einer Schaffensphase von Kraftwerk. Noch war die Musik einer Kultband entsprechend, experimentell und sperrig, doch war die Entwicklung klar erkennbar. Auch das Image wurde zunehmend prägnanter, so daß die folgende Autobahn LP und die damit verbunden Popularität nachvollziehbar werden.
 

Phase 2: 1974 - 1986 

1974: Autobahn

Diese zweite künstlerische Phase Kraftwerks beginnt mit ihrem wahrscheinlich bekanntesten Album Autobahn im November 1974. Der Schritt von der "avantgardistischen Kultband", die jedoch nie wirklich einzigartig oder innovativ war zu einer kommerziell sehr erfolgreichen Elektro-Pop Band scheint in den 12 Monaten zwischen Ralf und Florian und Autobahn vollzogen. Das griffige, extrem stilisierte deutsche Image ermöglichte es, Kraftwerks Einzigartigkeit sofort zu erkennen.
 

Musik-Technik:

Musikalisch hatten sich Kraftwerk weg von der Improvisation, die früher die Basis ihrer Musik gewesen war, zu Ordnung und Klarheit bekannt. Durch Einsatz von elektronischen Instrumenten ließ sich ihre Vorstellung dieser Ordnung ideal durchführen. Erst jetzt und damit lange nach ihren deutschen Musikerkollegen, ganz zu schweigen von den Bands Amerikas oder Englands, kauften Kraftwerk einen Mini Moog. Sie waren damit technisch in keiner Weise Vorreiter oder Pioniere, was heutzutage oft behauptet wird. Allerdings setzten sie den Synthesizer und seine Möglichkeiten anders ein als die meisten ihrer Vorgänger der elektronischen Musik.
Kraftwerk war als einzige von all den deutschen Bands, die der Faszination des Synthesizers erlagen, abenteuerlustig genug, das Pop-Potential dieses Gerätes auszuloten. Der Einfluß der Technologie ist ganz entscheidend für Autobahn. Durch die Möglichkeit, Schlagzeugmaschinen und Synthesizer zu koppeln, konnten sie endlich auch lange, sich scheinbar monoton wiederholende Passagen, realisieren. Synthesizer und Sequenzer ermöglichten es Kraftwerk, ihre eigene Identität zu finden. Es scheint, als hätten sie nur auf diese Entwicklung gewartet. 
Anfang der siebziger Jahre bestanden die meisten der sogenannten kreativen Gruppen wie King Crimson und Yes aus Virtuosen, die ihre Musik auf abgefahrene Jam-Sessions aufbauten. Als ich Autobahn gekauft habe, hatte ich das Gefühl, daß sich da was änderte. Das war zum ersten Mal Musik, die unangreifbar war, die nicht aus den üblichen Bestandteilen der Rockmusik zusammengesetzt war. 
Damals waren Kraftwerk der naturgemäß nächste Schritt, der auf Can, Tangerine Dream und Neu! folgen mußte, um die Sachen etwas präziser auf den Punkt zu bringen. Sie waren die erste Gruppe, die eine neue Disziplin, einen Fort-schritt verkörperte. Im Gegensatz zu den bisherigen Vorreitern der Synthesizermu-sik, wie Tangerine Dream oder auch Walter Carlos (nach einer Geschlechtsum-wandlung heute unter dem Namen Wendy Carlos bekannt) - der die berühmte Moog Platte Switched-On Bach einspielte - versuchten sie nicht, den Synthesizer als pseudoklassisches Instrument oder gleich als ganzes Orchester einzusetzen, sondern verwendeten ihn als eigenständigen Klangerzeuger. Vielleicht kann man die Herangehensweise von Kraftwerk als unbedarft beschreiben. Sie hatten keine klaren Vorstellungen, aber technisch interessiert versuchten sie den Synthesizer und dessen Möglichkeiten auszuloten, was ihnen auch schnell gelang. 
Das vielleicht revolutionärste an ihrer Arbeit und das zugleich am härtesten kri-tisierteste war die Tatsache, daß sie die neue Technologie dazu nutzten, eine Pop-Platte zu machen. Anstatt weiterhin zu versuchen, ernsthafte elektronische Avantgardemusik zu produzieren, wandten sich Kraftwerk dem kommerziell orientierten Pop zu. Sie waren jedoch auch hier nicht die ersten. 1972 hatte die Band Hot Butter mit ihrer Single Pop Corn den wohl ersten Synthesizer-Pop-Hit der Musikgeschichte. Dieser Song schien jedoch eine Eintagsfliege gewesen zu sein und so ist es gerecht, daß heute viele den Namen Kraftwerk in Zusammenhang mit der Entstehung des Synthesizer-Pop bringen. 

Konzept

Wichtig anzumerken ist auch die gekonnte Umsetzung eines Konzeptes, in diesem Fall des Konzeptes "Autofahren". Der Titelsong war mit der Intention produziert worden das Gefühl nachzuempfinden, welches der Autofahrer auf der Autobahn hat. Hierzu wurden Sounds kreiert, die diese Grundstimmung widerspiegelten. Im Hinblick auf die heutige Elektro-Musik war das richtungsweisend. Heutzutage werden, besonders durch den Einsatz von Samplern, Alltagsgeräusche verwendet, um eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen. So ist zum Beispiel der Schlagzeug-Sound bei einem Titel von Mathew Herbert, das Schlaggeräusch eines Löffels auf einer Tischplatte.
 

Kommerz

Autobahn war eine kommerziell sehr erfolgreiche Platte. Eine gekürzte Single-version rutschte als erste Platte mit deutschem Text in die amerikanische Charts, und zwar auf Platz 25. Die LP erreicht in den englischen Charts Platz 4 und in den US-Charts Platz 5.
 

Etc

Auch die Zusammensetzung der Gruppe schien zum ersten Mal zur Zufriedenheit geklärt. Karl Bartos und Wolfgang Flür, die als Percussionisten angeheuert wurden, blieben bis in die zweite Hälfte der 80er Mitglieder von Kraftwerk, wenn auch das Duo Schneider-Hütter weiterhin alle Entscheidungen traf. 
 

Summe

Kraftwerk nutzten den Erfolg der Platte, um ihr Studio auf den neusten Stand der Technik zu bringen. Ende 1975 besaßen sie erstmals ein Studio, das vollkommen ihren Ansprüchen entsprach. Finanzielle Unabhängigkeit war von jeher kein Problem, da sowohl Ralf Hütter als auch Florian Schneider wohlhabende Eltern hatten, die ihre Söhne unterstützten. "Wir haben in unsere Maschinen investiert, wir haben genug Geld zum Leben, basta. Wir können machen, was wir wollen, wir sind unabhängig, wir machen keine Cola-Werbung."(Florian Schneider)
 

1975: Radioaktivität

Die nun folgende Platte Radioaktivität war wieder ein Schritt "zurück" in Richtung Avantgarde. Viel weniger poppig als Autobahn und mit experimentellen Elementen war eine Ähnlichkeit mit den früheren Kraftwerk Stücken zu erkennen. Sie setzten weiterhin konsequent moderne Technologie ein, die industriellen Klänge aus den Anfangstagen sind auf Radioaktivität jedoch zu einer Art elektronischer Kammermusik gezähmt worden.
 
 
 

Einfluß

Der Einfluß auf die Musikszene scheint auch den großen Durchbruch des Synthesizers unterstützt zu haben. "Wir hatten mit unserem ersten selbstgebauten Equipment etwas in Bewegung gesetzt, und jetzt wollten es die Leute auch haben, jeder wollte einen Moog-Synthesizer haben." (Emil Schult)
 

Image

Zur gleichen Zeit paßten Kraftwerk nun auch ihr Äußeres dem Image an. Radioaktivität fiel mit der gleichzeitigen Veränderung des Image zusammen, mit dem Bärte und Haare fielen und sich Kraftwerk von trotteligen Hippies in ultramoderne Toningenieure verwandelten.
 

1977: Trans Europa Express

Nach dem Abstecher in die Avantgarde mit Radioaktivität war Trans Europa Express nun die direkte Fortsetzung von Autobahn. Diesmal war das zentrale Konzept der Zug auf einer Reise durch Europa.
 

Technik- Musik

Dafür hatten sie in ihrem Studio ein komplettes Eisenbahnuniversum geschaffen und sich des gesamten Potentials der Synthesizer und Electronics bedient, um die entsprechenden Geräusche herzustellen. Alles war hier vorhanden: die Fernver-kehrsstraßen Nationale 7, die Nationale 1, die europäische Autobahn, es war phantastisch. "Ich entdeckte genau das, was ich auch in Chuck Berrys Route 66 oder in Fun Fun Fun von den Beach Boys entdeckt hatte. Die Grundidee war ja eigentlich, daß Kraftwerk selbst ein Zug sind, der Europa durchquert, und daß un-terwegs Leute in den Waggons einsteigen."(Maxime Schmitt)
Noch drei Zitate, die sich mit Trans Europa Express beschäftigen und den, schon deutlich ausgeprägte Stil, Kraftwerks beschreiben: "Damit fing alles an. Wenn man heute die Worte "Trans Europa Express" hört, denkt man sofort an Kraftwerk. Für mich ist Trans Europa Express eindeutig ihre beste Platte, auch wenn es auf den anderen Platten schöne Songs gibt. Es ist die perfekte Platte, das perfekte Konzept, ein absolut überzeugendes Cover, ja ich finde sogar, daß es vom Klang her eine der besten Platten überhaupt ist".(Maxime Schmitt)
"Viele Avantgarde-Musiker und Künstler hatten sich lange Zeit darum bemüht, in-dustrielle Klänge und Bilder in ihre Arbeiten zu integrieren. Die Dadaisten und Futuristen hatten in den zwanziger und dreißiger Jahren besonderen Wert darauf gelegt, Alltagsklänge und -bilder aufzugreifen, weil sie aus dem introvertierten Galeriebetrieb ausbrechen wollten. Auch in den sechziger Jahren versuchten viele amerikanische Avantgarde-Komponisten, alltägliche, nachvollziehbare Vorstellun-gen von Klängen mit einzubeziehen, die sie in einem musikalischen Kontext ge-nauer analysieren wollten. Je mehr sie sich aber darum bemühten, desto elitärer und artifizieller schien das Ergebnis zu werden. Irgendwie war der Sound dabei in den Hintergrund getreten, wodurch das Ganze nur noch für ein paar "Eingeweihte" akzeptabel war, ansonsten aber als verschroben und schlichtweg unzumutbar für ein Massenpublikum galt. Damit lieferte Kraftwerk endlich klare Anhaltspunkte, daß die ihre Synthese aus Popmusik, Avantgarde-Klängen und Konzepten, von der sie schon immer fasziniert waren, perfektioniert hatten".(Marcel Bussy)
 

Einfluß

Ein Stück, an dem sich der große Einfluß Kraftwerks auf spätere Synthesizer-Pop-Bands, wie Depeche Mode erkennen läßt, ist "Schaufensterpuppen". Ein anderer Titel erlangte zweifelhaften Ruhm, durch die Wiederverwendung in Afrika Bambaataas Hit Planet Rock. Was heute in der modernen Musik gang und gebe ist - das Sampeln bestimmter Motive oder Fragmente aus Musikstücken anderer Künstler - war Mitte der 80er noch außergewöhnlich. Kraftwerk wählten mit Trans Europa Express absichtlich eine Nische. Viele Fans werteten die Ent-wicklung zum Elektro-Pop als Ausverkauf. Andererseits war die Musik für An-hänger des gerade populären Punk, zu anspruchsvoll. Wie auch immer man zu Kraftwerks Musik stand, wurde zu diesem Zeitpunkt langsam deutlich welche Be-deutung Kraftwerk in der modernen Musik hatten. Im Industrial-Bereich bei-spielsweise, führten die englische Gruppen wie Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire schon Ende der 70er die Tradition deutscher Experimental-Gruppen fort.
"Ich bin überzeugt, daß in England eine Menge Leute auf Kraftwerk, Can und andere deutsche Gruppen standen, und es gab damals in England keine einzige Band, die Vergleichbares auf die Beine gestellt hat."(Richard H. Kirk /Cabaret Voltaire).
Weitere Bands auch in anderen Bereichen, die mehr oder weniger stark von der Kraftwerk-Musik dieser Jahre beeinflußt waren sind DAF, die Einstürzenden Neubauten, Die Krupps, sowie internationale Bands wie Nitzer Ebb, Front 242 oder Nine Inch Nails.

1978: Mensch-Maschine

Mit dem Erscheinen ihres nächsten Albums verdeutlichten Kraftwerk ihre Füh-rungsposition im Bereich der elektronischen Popmusik. Die einzigartige Verbin-dung mit ihrem Equipment wurde noch intensiver. Das gesamte Album wurde im Düsseldorfer Kling-Klang-Studio produziert (gemischt wurde es jedoch im größeren Studio Rudas), in dem sich die Mitglieder der Gruppe täglich trafen um zu arbeiten.
 

Musik - Technik

"Wir verarbeiten alles zu Kompositionen. Alles ist erlaubt, es gibt kein Arbeitsprinzip, es existiert kein System. Unsere Ideen kommen wirklich aus unseren Erfahrungen, dem deutschen Alltag, dem täglichen Leben. Wir spielen die Maschinen, die Maschinen spielen uns, es ist tatsächlich der Austausch und die Freundschaft, die wir mit den Musikmaschinen haben, aus der wir eine neue Musik schaffen können."(Ralf Hütter)
"Florian hat vor allem an der Soundstruktur und mit den Maschinen gearbeitet, er ist jemand, den ich nicht unbedingt als Musiker bezeichnen würde, er ist eher ein Künstler. Er hat den Klang der Melodien verändert, er ist zu unglaublich verrücktem Zeug fähig."(Karl Bartos)
Auf Mensch-Maschine fällt vor allem das weniger aufdringliche elektronische Schlagzeug auf, das von viel leichterer Machart als auf dem vorhergehende Album ist. Kraftwerk gelang es außerdem; eine elektronische Sinnlichkeit oder Wärme der Maschine zu erzeugen. Der Sound ist technisch perfekt, wirkt aber nie steril. 
"Die Dynamik der Maschinen, die Seele der Maschinen war immer Bestandteil unserer Musik. Trance hat immer etwas mit Wiederholung zu tun, und jeder sucht nach Trance in seinem Leben, ..., beim Sex, in den Gefühlen, beim Vergnügen, bei allem, auf Parties, ... Und die Maschinen produzieren eine absolute; perfekte Trance."(Ralf Hütter)
Der Song Das Modell, der 1981 als Neuauflage erscheinen sollte, war der in England erfolgreichste Kraftwerk-Song und erreichte Platz 1 der Charts. Die Tatsache, daß dies erst drei Jahre später geschah, wird oft als Hinweis angesehen, daß Kraftwerk mit Mensch-Maschine ihrer Zeit noch immer weit voraus waren. Am Rande sei bemerkt: Das Modell ist auch der einzige Kraftwerk-Titel, der sich mit einem weiblichen Thema beschäftigt.
 
 

Einfluß

Der immer noch omnipräsente Einfluß Kraftwerks auf die Musikszene ist deutlich an den New Romantics zu sehen. Bands wie Ultravox, The Human League, Orchestral Manoevers in the Dark (OMD), Soft Cell und auch Depeche Mode konnten trotz ihres eher punkorientierten Auftretens, die Verbindung zu Kraftwerk nicht leugnen. Technisch hatte sich in der Musikbranche der Siegeszug des Synthesizers weiter fortgesetzt, was oft auch Mensch-Maschine zugeschrieben wird. Einerseits die Verfügbarkeit billigerer, transportabler Instrumente als auch Kraftwerks Beispiel, in welcher Art die neuen Möglichkeiten in der Popmusik eingesetzt werden können, haben zum sogenannten Synthesizer-Boom beigetragen. Wichtig ist hierbei auch der Aspekt der Möglichkeit; mit wenig Kapital einen Zugang zu den Klängen und der Technologie von Kraftwerk zu haben. Die Verlagerung der Produktionsmittel, die sich bis heute ständig fortgesetzt hat; ist ein Meilenstein in der Musikgeschichte. Gerade dieser Synthesizer-Boom jedoch bewirkte die erste große Schaffenspause Kraftwerks. Man wollte sich von den vielen Nachahmern abgrenzen und nahm sich dafür beinah drei Jahre, eine Zeit der Isolation, die bis zum Erscheinen des nächsten Albums andauerte.
 

1981: Computerwelt

Kraftwerk hatten die Zeit genutzt; ihr Kling-Klang-Studio komplett umzubauen, so daß ihr gesamtes Equipment jetzt auch transportabel war. Allerdings waren ihnen Live-Auftritte im Laufe ihrer ganzen Karriere eher unangenehm. Der Anspruch war oft zu hoch, um außerhalb ihres Studios umgesetzt zu werden. Diese Problematik ist auch heute noch in der elektronischen Musik auszumachen. Der Anteil des Menschen am vorgeführten Werk ist noch immer Ursache vieler Diskussionen.
 

Musik - Technik

Computerwelt ist das Kraftwerk-Album in dem sie sich am direktesten mit der Technik auseinandersetzen, welche sie musikalisch schon seit einigen Jahren nutzten. Humorvoll mutet die Verwendung von Casio und Texas Instruments Taschenrechnern zur Klangerzeugung an, dennoch schwingt eine gewisse Melancholie in vielen Stücken mit. So wurde Computerliebe auch als der erste Roboter-Blues bezeichnet.
Eines der im Nachhinein wohl richtungsweisenden Stücke war Heimcomputer, das eindeutig die Entwicklung der House und Techno-Musik geprägt hat. Nicht verwunderlich, daß auch von keinem anderen Kraftwerk-Titel ähnlich viele Samples verwendet wurden.
Kraftwerk waren Ende 1981 Pioniere was die technische Revolution des Home-Recording betraf. Wie schon angedeutet verstanden sie es im Gegensatz zu anderen aber auch, diese Entwicklung einzuordnen.
"Die neuen Technologien werden zur Liberalisierung der allgemeinen Kreativität beitragen, weil jedem dadurch zu Hause eine Studiotechnologie zur Verfügung steht, mit der er fast alle Klänge herstellen kann."(Ralf Hütter) Was Kraftwerk vor über 10 Jahren begonnen hatten, begann nun sich im breiten Rahmen durchzusetzen.
 

Einfluß

Es zeigte sich in zunehmendem Maße, wie weit Kraftwerk außer dem Synthesizer Pop der New Romantics auch die schwarze Tanzmusik in den USA beeinflussten. So verwendete Africa Bambaataa das Schlagzeugmuster von Nummern und die Melodie von Trans Europa Express für seine Platte Planet Rock. Durch Mischung amerikanischer Hip-Hop-Musik mit europäischer Elektronikmusik entstand Electro. Arthur Baker: (Baker, der Produzent von Africa Bambaataa hatte auch Tom Silvermann bei der Gründung seines Tommy-Boy Labels, der Brutstätte des Electro, unterstützt) "Ich habe Kraftwerk immer gemocht, seit ihrer LP Autobahn, die ich in Boston gekauft habe. ... Als ich DJ wurde, entdeckte ich Kraftwerk, weil man dazu tanzen konnte. Bambaataa stand auch drauf: es war diese Suche nach dem perfekten Beat."
Auch im Techno-Bereich werden Kraftwerk häufig als Urväter zitiert. So gesteht Derek May, einer der Mitbegründer der Techno-Szene in Detroit (heute eine der wichtigsten Stilrichtungen des Techno, sehr minimalistisch und hart), daß er als Jugendlicher vor allem auf europäische Bands wie Kraftwerk "abgefahren" sei. Besonders in der DJ Szene New Yorks, die Kraftwerk von Besuchen auch gut kannte, wurden immer neue Remixe ihrer Stücke verwendet, und noch heute gehören sie zu den meistgesampelten Bands aller Zeiten. Der Einfluß von Kraftwerk schien also auf zwei Musikstile zu wirken. Einmal auf den europäischen Synthesizer-Pop, aber auch auf die amerikanische Tanzmusik wie Hip-Hop oder Techno und House.
 
 

1983: Tour De France

Kraftwerk unterbrechen mit dieser EP eine erneute längere Phase des Schweigens und beschäftigten sich erneut mit dem Konzept der Fortbewegung, diesmal mit dem Fahrrad. "Das Fahrrad ist ja eigentlich bereits ein eigenständiges Musikinstrument. Das Geräusch der Fahrradkette, des Pedals und Getriebes zum Beispiel, das Atmen des Fahrradfahrers, das alles haben wir in den Kraftwerk-Sound integriert, die Originalklänge haben wir im Studio in die Computer eingegeben". Der schon nach "Computerwelt" spürbare Einfluß auf die amerikanische Hip-Hop-Musik wird durch die Veröffentlichung des Titeltracks auf dem Soundtrack zum Kultfilm Breakdance verdeutlicht.
 

1986: Electric Cafe

Die letzte Kraftwerk Platte mit vollständig neuem Material erscheint wiederum drei Jahre später. Gründe für diese lange Pause könnten der erhöhte Konkurrenzdruck und die technische Weiterentwicklung des Kling-Klang-Studios sein. 
 

Technik - Musik.

Fakt ist, daß Kraftwerk die Zeit nutzten, um ihr komplettes Studioequipment von analog auf digital umzustellen. Außerdem hatten sie begonnen, alle bis dahin erstellten Klänge zu digitalisieren, eine Arbeit, die sie auch in den nächsten Jahren in Anspruch nehmen sollte. "Wir haben alle unsere Klänge, sämtliche Erinnerungen, alle alten Bänder, die sich inzwischen bereits entmagnetisierten, digital übertragen, und wir haben unsere ganzen Originalklänge im Speicher des Computers in ein digitales Format gebracht. Damit haben wir das gesamte Kraftwerk-Lexikon auf dem Schirm zur Verfügung, einen kompletten Katalog. Und eines Tages, wenn wir aufhören oder sterben, ist vielleicht irgend jemand in der Lage, an diesen Ideen und Klängen weiter zu arbeiten und neue Kompositionen daraus zu machen."(Ralf Hütter)
 

Einfluß

Electric Cafe beschäftigt sich - wie der Titel andeutet - mit der Atmosphäre eines Cafes, den Geräuschen von Kaffeemaschinen, Staubsaugern, usw. Die einzelnen Stücke sind atmosphärischer als auf den vorigen Alben, was den kurz darauf entstehenden Trend des Minimalismus in der House-Musik vorwegnahm. Das Album war jedoch kein eindeutiger Schritt voran und wurde von der Kritik und dem Publikum auch sehr reserviert aufgenommen. Interessant ist, daß in der Zeit zwischen Tour de France und Electric Cafe so bekannte Künstler wie Elton John und Michael Jackson wegen einer Zusammenarbeit oder der Verwendung von Originalbändern anfragten. Diese wurde jedoch weitgehend verweigert, was zu Kraftwerks Image als "skurril" und "eigen" beitrug.
 

Etc.

In den folgenden Jahren arbeiteten Kraftwerk an einer Best-Of Platte, die jedoch komplett neu eingespielt wurde. Karl Bartos und Wolfgang Flür verließen die Band nach 16 Jahren, was wahrscheinlich auf unterschiedliche Meinungen zur Zukunft Kraftwerks zurückzuführen ist. Florian Schneider und Ralf Hütter haben weiterhin jeden Tag im Kling-Klang-Studio gearbeitet und ihr technisches Gerät weiterentwickelt.
 

Summe

Kraftwerk waren im Widerspruch zur weitverbreiteten Meinung keine Pioniere der elektronischen Klangerzeugung. Sie hatten immer viel Interesse an elektronischer Musik, verwendeten aber lange konventionelle Instrumente, die sie verfremdeten. Erst sehr spät begannen sie, Synthesizer einzusetzen, wobei sie jedoch einen eigenen und innovativen Ansatz hatten. Die Technik hatte einen gewaltigen Einfluß auf die Musik Kraftwerks, wobei ich den Eindruck habe, die Gruppe hatte die Idee des Synthesizers schon lange vor ihren ersten Versuchen damit.
Im Gegensatz zu anderen Bands oder Künstlern, versuchten sie nicht, den Synthesizer als Orchester oder Imitation eines konventionellen Instruments zu verwenden, sondern erkannten das Potential mit ihm ihre Vorstellung von Musik umzusetzen. Es ist unbestreitbar, daß Florian Schneider und Ralf Hütter fasziniert von der technologischen Entwicklung im Musikbereich waren, aber man hat den Eindruck, ihre Herangehensweise sei eine sehr menschliche. 
Zum Beispiel entwickelten sie eine fast romantische Sammelleidenschaft und bewahrten alle jemals verwendeten Geräte oder Instrument im Keller ihres Studios auf. "Wir benutzen den Keller als Lagerraum für alte Instrumente und Geräte, die wir nicht mehr einsetzen. Wir werfen unsere alten Sachen nie weg. ... Denn auch die Epoche, aus der ein Instrument stammt, verleiht ihm einen bestimmten Ton, eine gewisse Patina wie in alten Filmen, es ist nicht möglich, das mit einem neuen Instrument herzustellen, das ist wie mit alten Farben."(Florian Schneider)
Sie erweiterten oder verbesserten fortwährend ihre Arbeitsbedingungen und bauten auch Instrumente selber, wie die ersten live eingesetzten Drum-Computer "Wir haben ungefähr zwei Jahre gebraucht, um die erste Schlagzeugmaschine zu bauen. Die allererste hat Florian aus der Beat-Box einer alten Orgel gebastelt, die er auseinandergenommen und so umgebaut hat, daß man sie per Hand bedienen konnte. Die frühen Schlagzeuge waren eigentlich nichts anderes als ein geschlossener Stromkreis. Sobald man einen Kontakt zwischen einem Metallstück und einem metallenen Schlagzeugstock herstellte, hat man diesen elektrische Kreislauf geschlossen, indem man das Metall mit dem Stock berührte, und damit löste man einen Klang aus."
"Karl Bartos oder Florian besitzt ein Gerät, das mich fasziniert, obwohl ich kaum etwas darüber weiß. Es ist ein Gerät, mit dem man eine Stimme herstellen kann, etwas, was viel ausgeklügelter als ein Vocoder ist. Er kann etwas in den Kasten eingeben, und der gibt Sätze wieder".(William Orbit). [Es handelt sich höchstwahrscheinlich um ein Texas Instruments "Speak and Spell", einen Computer, der mittels Phonemsynthese Schrift in Sprache umsetzt, der Hrsg.]
"Das Heiligtum und wichtigstes Element im Mikrokosmos Kraftwerk ist das Kling-Klang-Studio in Düsseldorf, ein Ort an dem zumindest Florian Schneider und Ralf Hütter seit drei Jahrzehnten nahezu täglich zusammenkommen, um ihre Vorstellung von Musik oder Klang umzusetzen. Keine Metapher drückt die Faszination für Technik besser aus als dieser Ort. Die Mikrocomputer stapeln sich, in blaues Neonlicht getaucht, auf allen Regalen. Ihr Studio ist eine futuristische Fabrik, die der Traum eines jeden Sound-Süchtigen ist."(Jean-Francois Bizot)
"Das Studio entstand eigentlich vor der Band. Alles ging auf das Studio zurück, ähnlich einem Mutterschiff."(Ralf Hütter)
Kraftwerk haben die Revolution des Home-Recording um 10 Jahre vorweggenommen. Die Verlagerung der Produktionsmittel in jedermanns Hände erkannten sie schon sehr früh als wichtigen Impuls und bei der Beschäftigung mit der heute populären Musik, wird klar, welchen Einfluß diese Entwicklung in der Tat hatte. Das wirklich besondere an der Musik Kraftwerks waren zwei Elemente: Zum einen die Verwendung des Synthesizers und anderer elektronischer Instrumente oder Geräte, um Pop-Musik zu machen. Zum anderen das Streben nach "tonaler Perfektion" im Rahmen eines jeweiligen Gesamtkonzeptes.
Der scheinbare Widerspruch des intellektuellen Anspruchs an ihre Musik und der auf den ersten Blick trivialen, weil populären Umsetzung, ist vielleicht ein Geheimnis ihres großen Erfolges. Über ihre Musik und deren nachhaltigen Einfluß sagte Ralf Hütter: "Wir sind weder Künstler noch Musiker. In erster Linie sind wir Arbeiter. Unsere Musik ist ziemlich minimalistisch. Wenn wir eine Idee mit einer oder zwei Noten ´rüberbringen können, ist das besser, als wenn wir Hunderte von Noten oder so ´was spielen müssen. Durch unsere Maschinen müssen wir uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob wir genügend virtuos spielen können, diese Maschinen besitzen genügend Virtuosität, deshalb konzentrieren wir uns bei der Arbeit auf einen sehr klaren Minimalismus."
Das mechanische Universum von Kraftwerk wurde in Detroit, Brüssel, Mailand, Manchester geklont oder kopiert und ist sogar durch das House-Music-Fieber psychedelisiert worden. "Man kann unsere Musik nennen, wie man will: Science-Fiction Musik, Techno-Disco, Kybernetik-Rock. Ich jedenfalls ziehe vor allem den Begriff Roboter-Pop vor. Weil er etwas mit unserem Ziel zu tun hat, zu dem es auch gehört, daß wir ohne Zeitlimit an der Konstruktion eines perfekten Pop-Songs für die Rituale des globalen Dorfes arbeiten."
Die kulturelle Bedeutung Kraftwerks ist aber nicht nur durch ihren konsequenten Einsatz von neuer Technologie oder ihre einzigartige Musik zu erklären. Vielmehr unterschieden sie sich von Konkurrenten mehr durch ihr perfektes Image. Musikalisch oder technisch waren sie weniger Protagonisten als man heute glauben mag. Sie bildeten jedoch ein Gesamtkunstwerk, das einzigartig die Verbindung von Mensch und Maschine verdeutlichte.

 

Quellen:
  • Kraftwerk, Synthesizer, Sounds und Samples - die ungewöhnliche Karriere einer deutschen Band, Juli 1995, Verlag Piper/ München
  • Das Standardwerk über Kraftwerk, auf deutsch nicht mehr erhältlich, Originaltitel: "Kraftwerk - Man, Machine and Music"  GRAND ROYAL, Ausgabe 3, erschienen Sommer 96
  • Offizielle Kraftwerk Homepage: www.kraftwerk.com

 


 

Rückseite


© ZeM e.V. | ZeM Heft Nr. 23 - Frühjahr 2000

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