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Frieder Janus

Messeneuheiten?

Beim Besuch der diesjährigen Frankfurter Musikmesse konnte man feststellen, daß keine wirklichen Neuheiten vorgestellt wurden. Dies kann, bei genauerer Betrachtung, als positiv angesehen werden. Wer kann von sich schon behaupten, seine Instrumente absolut sicher bedienen zu können. Wer hat auch nur eines seiner Geräte wirklich ausgereizt? Gerade im letzten Jahr wirkte die Vorstellung neuer Synthesearten fast schon bedrohlich. AFM, Wave Sequencing, Wave Tables - kaum ein Verkäufer konnte seinen Kunden ausreichende praxisnahe Informationen zu diesen Klangerzeugungsarten liefern. Und wer die mitgekauften Presets abscheulich findet, muß nun einmal Mühe und Zeit aufwenden und selbst Hand anlegen, um an die ganze Soundpalette heranzukommen, die ihm das Gerät bietet. Daß nur ein geringer Teil der Elektroniker so mit ihren Geräten umgehen, wissen auch die Hersteller und Händler. Diejenigen, welche zudem nach neuer Soundtechnologie trachten, haben es nicht leicht, in ihrem Rack noch einen Platz für den neuen Expander zu finden. Sicher ist aber, daß die Hersteller ihre Verkaufsstrategie in naher Zukunft nicht ändern werden. 

Erfreulich wenigstens, daß manche Hersteller ihre Synthesearten ansatzweise modifizierten. Besonders kundenfreundlich erwiesen sich die Konzepte der Firmen Peavey und Waldorf, die ihre Kunden mit einem Update zufriedenstellen konnten. Ärgerlich dagegen das Marktkalkül von Yamaha, den SY 77 nicht weiterzuentwickeln, sondern die verbesserte Sounderzeugung nur in einem neuen Gerät, dem SY 99 anzubieten. 

Leider tendieren die Hersteller immer noch dazu, ihre Produkte in einer Weise zu präsentieren, die eher an einen musikalischen Rummelplatz, als an eine informationsreiche Vorstellung heranreicht. Stellt man, naiv wie man sich in den ersten Stunden des Messebesuches noch gibt, eine detaillierte Frage, die von 'Haben Sie noch einen Prospekt?' auch nur leicht abweicht, treten bei dem mit einem Minirock bekleideten Gegenüber panikartige Verhaltensweisen auf. Oft reicht es gerade noch zu der reflexartigen Gegenfrage 'Ja haben Sie denn einen Termin?' Es bedurfte einer gewissen Hartnäckigkeit, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Sicher kamen nicht nur wir zu der Überzeugung, daß Auskünfte über neue Produkte besser beim Fachhändler als auf der Messe einzuholen sind. 

Für uns war der diesjährige Besuch der Frankfurter Musikmesse in ganz anderer Hinsicht lohnenswert. Es konnten zu einigen Softwareherstellern Kontakte geknüpft und intensiviert werden. Erfreulich dabei vor allem die Aufgeschlossenheit gegenüber unserer Arbeit und unseren Zukunftsplänen. Mehrere Firmen sagten spontan ihre Unterstützung zu. Für den einzelnen war dieses Jahr also weniger ein Koffer voll Prospekte angesagt; dafür aber unsere Genugtuung darüber, einen Anfang gefunden zu haben, die Vereinsarbeit von ZeM einigen Firmen stärker ins Bewußtsein gerückt zu haben. So gesehen hat sich die Fahrt nach Frankfurt für ZeM mehr als gelohnt.

 

 


Rainer Fiedler

Das neue ZeM-Archiv

Seit Januar 1991 besteht ein Archiv, zugeschnitten auf Bedürfnisse von ZeM-Mitgliedern oder anderen soundorientierten Insidern, die mehr über elektronische Musik wissen wollen. Es befindet sich in einer Privatwohnung in der Straße "Am Schneckengraben 9". 

An dieser Stelle möchte ich das Archiv näher vorstellen und weitere Möglichkeiten zur kreativen Betätigung im Archiv bekanntgeben: 

1. Bibliothek: Ein detailliertes Literaturverzeichnis wird umgehend jedem ZeM-Mitglied zugänglich gemacht werden. Die Bibliothek gliedert sich in die Bereiche E-Musik/Musik allgemein/ Naturwissenschaft/Computergrafik/Chaosforschung und Mathematik als ein spezieller naturwissenschaftlicher Bereich. Desweiteren liegen zusätzlich noch diverse Sammelmappen zu den obigen Bereichen vor. All dies kann ausgeliehen werden. 

2. Discothek: Ein Verzeichnis der Schallplatten ist in Arbeit; die Platten können im Archivraum gehört werden. 

3. Tapes (Kopien) von ZeM-Mitgliedern und bekannten Elektronikern (z.B. J.CAGE, FROESE u.a.) können ebenfalls im Archiv konsumiert werden. Die Cassetten der ZeM-Mitglieder bieten (bei Vollständigkeit!) ein Spektrum über die kreative Bilanz unseres Vereins. 

4. In Planung: Videothek. 

a) Videotapes von Nicht-ZeM-Soundereignissen und Lernprogrammen etc. 

b) Ab Mai 1991 ist es möglich, daß Ausschnitte von ZeM- Konzerten/-Vorträgen und -Workshops videografiert und archiviert werden. 

5. Im Archiv besteht auch generell die Möglichkeit zur kreativen Betätigung hinsichtlich der Soundherstellung. Dafür und auch zum Kennenlernen stehen bereit: 

a) Yamaha 40M, duophon (analog) 

b) Korg Wavestation 

c) Atari ST 1040 u. Amiga (MouseMusic) 

d) Apple Mountain Music System 

e) Software zum Erstellen eigener Sound-Libraries 

Über jede Erweiterung des Archivs in materieller und geistiger Art bin ich dankbar, es profitieren alle Mitglieder davon, andere werden vielleicht darauf neugierig. 

Das Archiv hat feste Öffnungszeiten: 
Montag - Freitag 19-20.30 Uhr und 
Samstag 18-20.00 Uhr, 
sowie nach telefonischer Vereinbarung. 

ZeM-Archiv (Rainer Fiedler) 
Am Schneckengraben 9 
7800 Freiburg 
Tel: 0761/891229 

[aktuelle Infos unter ZeM.de/archiv Anm. d. R.]
 

Endlich - ein eigenes ZeM - Ambiente

Ab Ende April 1991 steht ZeM ein eigener Raum zur Verfügung, groß genug und jederzeit für Mitgliedertreffen und Soundausstellungen nutzbar. 

In Haus Höllenstraße 21 entsteht derzeit die Galerie COM/ART, eine Galerie für Computerkunst. Es werden regelmäßig Ausstellungen stattfinden, geplant sind auch Videoinstallationen und Videocollagen. Hierzu erscheint zukünftig auch ein Mitteilungsblatt "COM/ART", das über Erfahrungen in diesen Bereichen berichten wird. Spätestens bis Sommer 91 ist es auch vorgesehen, daß in dieser Galerie regelmäßig ZeM-Treffen und Soundausstellungen stattfinden. Dadurch wird Mitgliedern ein Forum geboten, ihre Produktionen auch einmal ausführlicher darzubieten. Vier Aktiv-Boxen und ein 4-Spur-Gerät sind hierfür vorhanden. Direkt anschließend, neben dem Galerieraum, wird ab Mai (die Verhandlungen darüber sind im Gange) für ZeM ein zusätzlicher Raum zur Verfügung stehen. Er ist vor allem für Workshops und sonstige Lehreinheiten über elektronische Musik gedacht. Eine weitere erfreuliche Information für die kommende Sommerzeit: Im Garten des ZeM-Archivs und der Galerie COM/ART werden Treffen und Sessions auch der gemütlichen Art stattfinden, um ZeM-Aktivitäten zu präsentieren und anzuregen.

(Bild: Rainer Fiedler im ZeM Ambiente "COM/ART" 1991 d. Red.)

 

 


Dr. Walter Birg

Antwort und Diskussion der 12 Thesen von Dr. Josef Otto Mundigl zur Elektronischen Musik

Zunächst sollen die zwölf Thesen in geraffter Form noch einmal zitiert werden. 
Dabei ist zu erkennen, daß mindestens These 1 aus 3 Teilthesen besteht, die hier einzeln behandelt werden sollen: 

1a) Die Elektronische Musik (im folgenden mit EM abgekürzt) muß sich gegen die Instrumentalmusik abgrenzen. 

1b) Es ist sinnlos, Klangfarben zu imitieren. 

1c) Es soll kein unreflektiertes Übernehmen der Tonalität geben. 

2) Tonreihen werden durch Klangfarbenmodulationen ersetzt. 

3) Es soll eine neue stringente Korrelation zwischen Material und Form geben. 

4) Die Reihengesetze des Serialismus sollen angewendet und durch den Einbezug logischer und mathematischer Funktionen erweitert werden. 

5) Der Komponist muß in die Lage gesetzt werden, die Mikrostruktur der 
Klänge planmäßig und radikal zu ändern. 

6) Aufgabe des Komponisten ist es, das Material bis zu seiner Erschöpfung auszuloten. Neues Material ist nur unter Berücksichtigung der Gesamtkonzeption der Komposition erlaubt. 

7) Die EM soll sich von der herkömmlichen Kunstmusik (in der das Prinzip 
der Wiederholung herrscht) durch das Prinzip der Veränderung unterscheiden. 

8) Die Entstehung einer freien Zeitgestalt der Komposition entsteht durch 
die Autorität des Komponisten. Ein Rhythmus ist überflüssig, kann sich jedoch ergeben. 

9) Die herkömmlichen Musiktheorien sind nur mit Skepsis anzuwenden. 

10) Die EM soll in konzertanter Form eine Verbindung mit dem Orchester eingehen. 

11) Es muß "interpretierbare" Kompositionen von EM geben. 

12) Keine Regel soll allgemeinverbindlich sein. Imitationen und Kopien irgendwelcher Systeme sind abzulehnen. 

Soweit die Thesen von Josef Otto Mundigl in meiner gekürzten Fassung. 

Ich hoffe, ich habe durch die Kürzung nicht zu viele Mißverständnisse erzeugt. 

Zunächst möchte ich bemerken, wie gut ich es finde, daß ein Komponist Elektronischer Musik solche Thesen aufstellt. Schließlich gibt man damit sein persönliches künstlerisches Credo kund. Meine Hochachtung daher! 

Dennoch: Da die Thesen ausdrücklich zur Diskussion gestellt sind und es uns allen um die Sache der Musik und um nichts anderes geht, möchte ich - und ich kann nur in meinem eigenen Namen sprechen - bei einigen Punkten Kritik anmelden. 

Zunächst aber die Punkte, in denen ich voll beipflichten kann: Mit den Thesen 1c), 5),9), 10), 11) und 12) stimme ich voll überein. Dies allerdings sind die Thesen, die zumindest teilweise den anderen widersprechen, z.B. These 4), d.h. vollkommene Determiniertheit im Gegensatz zu These 12) d.h. keine Regel allgemeinverbindlich. 

Oder 10) Verbindung von EM mit Orchester widerspricht zumindest partiell These 
1) Abgrenzung gegen Instrumentalmusik. 

Auch in der These 3) sehe ich partiell einen Widerspruch zu These 8). Wie soll eine freie Zeitgestalt resultieren aus einer engen Korrelation zwischen Material und Form? 

Die Thesen 1a), 1b), 2), 4), 6) und 7) halte ich für geradezu falsch. Dies möchte ich folgendermaßen begründen - wie gesagt, dies ist meine persönliche Meinung und ich respektiere selbstverständlich auch diametral entgegengesetzte Meinungen - es gibt viele Wege nach Rom: 

Zu These 1a) Warum soll sich EM gegen die Instrumentalmusik abgrenzen. Abgrenzung bedeutet doch auch, auf Freiheiten zu verzichten. Und dies nachdem wir zum erstenmal in der Musikgeschichte völlige Freiheit erlangt haben! - Bitte nicht schon wider eine neue Begrenzung und sei es auch nur dadurch, daß es in der EM z.B. keine streicherartigen Klänge geben darf, entsprechend These 1). 

Zu These 1b) Ich halte es nicht für sinnlos, Klangfarben zu imitieren, da die 
Klangfarben des Orchesters von hohem ästhetischem Reiz sind. Wenn dann dazu die Möglichkeit des mikrotonalen Spielens kommt, können gerade diesen gut bekannten Klängen neue Dimensionen eröffnet werden. 

Zu 2) Musik ist nicht nur Klangprozeß - sie ist auch Architektur. Daher kann man sich gute Musik auch ohne Klangfarbenmodulation vorstellen. Zwar möchte ich die Möglichkeit der Klangfarbenmodulation nicht missen - selbstverständlich, jedoch dieses strikte Gebot grenzt mir die Freiheit zu sehr ein. 

Ein Gleiches gilt für These 4). Jetzt, wo wir endlich die Freiheit haben, jeden Klangprozeß und jedes Geräusch in unsere Musik einzubauen, mit beliebiger Skala und beliebigem Timing, Phrasierung usw. - jetzt sollen wir uns wieder in das Prokrustesbett der Serialität hineinzwängen, wenn auch durch "Gesetze der Mathematik und Logik" angereichert. Bitte - nicht schon wieder mit einer wohlgemeinten Ideologie die Freiheit beschneiden! 

Zu These 6) Vorhandenes Material bis zu seiner Erschöpfung auszuloten ist sicher reizvoll - jedoch sicher nicht die beste Möglichkeit, Phantasie und neue Ideen einzubringen. 

Zu These 7) Da die EM gerade durch ihre Neuartigkeit und auch Fremdartigkeit besondere Anforderungen an die HörerInnen stellt, ist ein dogmatisches Verbot von Wiederholungen meiner Meinung nach fehl am Platz. 

Wenn ich Elektronische Musik mache, tue ich das, weil ich neue Klangmöglichkeiten suche - Klänge und Klangprozesse, die ich mit dem herkömmlichen Instrumentarium nicht habe und weil ich eine neue Architektur von Kompositionen realisieren kann, die bisher aus technischen Gründen nicht möglich war. Aber deshalb sollten wir nicht alles, was uns von unserer großen Musikkultur überliefert wurde, total ablehnen, sondern wirklich genau prüfen, was noch tragfähig ist. Obwohl ich auch über andere Stimmungssysteme viel nachgedacht und auch Musikstücke mit mikrotonalen Skalen gemacht habe, sollten wir es uns gut überlegen, ob wir z.B. diese einmalige "temperierte Stimmung" zum alten Eisen der Musikgeschichte werfen sollten. Diese Teilung der Oktave stellt für mich einen wahren Fund der Menschheit dar - durchaus im Sinne eines großen Naturgesetzes. 

Kunst ist Spiel, und Spiel braucht Regeln. Diese Regeln jedoch sollte jeder, der Kunst schafft, sich selbst geben und nicht einem Regelsystem eines anderen entnehmen. Daher möchte ich auch mein (derzeitiges) künstlerisches Credo, das ich hier abgelegt habe, durchaus nur auf mich beschränken. Toleranz - ist wie ich glaube - besonders in der Musik wichtig. Daher, lieber Herr Mundigl, achte und respektiere ich Ihre Thesen und Regeln, nach denen Sie Ihre Musik gestalten - obwohl ich zum Teil anderer Meinung bin.

Artikel von Dr. Josef Otto Mundigl → 12 Thesen zur Elektronischen Musik in ZeM Nr. 3

 

 


Dr. Joachim Stange-Elbe

Elektronische Musikinstrumente.

Ein historischer Rückblick mit zeitgenössischen Dokumenten.

1. Teil: Die Prophezeiung eines "Technikers".

Nachdem Hermann von Helmholtz die Zusammensetzung und damit verbundene Charakteristika der Klangfarbe eines Tones durch sein Obertonspektrum theoretisch erfaßt hatte, konnte man ahnen, daß "das klangliche Element an Reichthum und Unerschöpftheit die anderen musikalischen Elemente weit hinter sich lassen muß". Diese Feststellung wurde von einem Autor in der "Zeitschrift für Instrumentenbau" im Jahr 1887/1888 getroffen, der als "Techniker" unterzeichnet hat. Der kurze Artikel ist "Elektricität und Musik" betitelt. Bemerkenswert sind die Autorenschaft, die Folgerung aus Helmholtz' Theorie und die sympathische Unvoreingenommenheit des Technikers im Blick auf musikalische Probleme. 

Mit Sicherheit kann angenommen werden, daß es sich bei dem "Techniker" um keinen Autorennamen handelt. Man kann aber davon ausgehen, daß dieser Artikel von einem oder mehreren Technikern mit musikalischen Kenntnissen verfaßt wurde. Dies ist um so bedeutungsvoller, da die Impulse für die in der Folgezeit entwickelten elektrischen Musikinstrumente fast ausschließlich von Elektrotechnikern oder Physikern ausgingen, die nicht nur die Prinzipien der neuen Klangerzeugung praktisch verwirklichten, sondern auch neue Spielmöglichkeiten zur Diskussion stellten. Diese Tendenz hat sich im Laufe der Zeit und gerade heute in der noch jungen Entwicklung der Computermusik nur bestätigt. Die Scheu der ausführenden Musiker vor der elektrischen Klangerzeugung, vornehmlich im Bereich der traditionellen Musikkultur, hat sich bis heute erhalten. 

Den Erprobungen und Entwicklungen der Techniker im Bereich der elektrischen Klangerzeugung korrespondierte in der Vergangenheit die Unvoreingenommenheit, mit der sie an musikalische Ereignisse herangingen. Befreit von traditionellen Verpflichtungen und musikhistorischen Denkweisen, mit denen jeder produzierende und besonders reproduzierende Musiker konfrontiert ist, konnten die Techniker wesentlich freier mit den neuen Klangerzeugungsmöglichkeiten und ihren musikalischen Konsequenzen umgehen: Weil es im Bereich dieser Klangerzeugung noch keine Tradition gab, wurden die anfänglichen Experimente zunächst ohne Vorbehalte durchgeführt; daß bei aller ungehemmten Experimentierfreudigkeit hierbei manch musikalisch unzureichender Irrweg begangen wurde, läßt sich aus der weiteren Entwicklung auch ablesen. 

Zutreffend stellt der "Techniker" fest, daß uns dieser "neue klangliche Schatz" verschlossen bleibt, solange wir "nur die wenigen Klänge, die wir zufällig erzeugen können,... verwerthen, statt in freier Weise beliebig viel Töne zu Klängen zusammenfügen zu können". Die bisherigen Instrumente mit ihrer trägen, zum Klingen gebrachten Materie sind für einen variablen, in raschem Wechsel veränderbaren Klang nicht das geeignete Medium. Der Autor hält hier die Elektrizität als das geeignete Mittel für eine freie Klangbeherrschung: 

"Die[se] Möglichkeit... scheint aber nur auf der Anwendung der Elektricität zur Erzeugung des Tones zu beruhen, und wenn wir sehen, wie durch die Elektricität im Telephon die Wiedergabe so vieler Klangverschiedenheiten möglich gemacht wird, so muss sich unsere Hoffnung für die freie Beherrschung des Klanges naturgemäss auf die Elektricität richten". 

Können diese "Klangverschiedenheiten" der noch technisch unzureichenden Telephonübertragung angelastet werden, so sieht der Techniker dieses Manko unter einem positiven produktiven Prozeß musikalischer Verwendbarkeit: 

"Die Elektricität vermag jene Fülle gleichzeitiger Bewegungen, wie sie der Klang bedingt, wiederzugeben, man wird mit ihr dieselbe darum auch erzeugen können, und wenn wir erst dahin gekommen sind, musikalische Töne mittels Elektricität zu erzeugen, dann werden wir auch bald weiter dahin kommen, dass wir diesen Tönen beliebige Klangfärbungen geben können". 

Wie diese Tonerzeugung praktisch durchgeführt werden soll, bleibt unerwähnt; erst mußten die akustischen Möglichkeiten der Elektrizität weiter entwickelt werden. Doch auch hierin ist der Autor Optimist: 

"Jedenfalls dürfen wir... festhalten, dass die freie Erzeugung des Klanges durch die Elektricität ermöglicht erscheint und dass dann mit der Anwendung der Elektricität in der Musik diese Kunst in eine ganz neue Entwicklungsphase treten wird". 

Dieser bislang früheste Beleg über die Möglichkeiten der elektrischen Klangerzeugung sei wegen seiner Aktualität hier vollständig wiedergegeben. 
 

Elektricität und Musik. 
 

Der Künstler ist im Allgemeinen wenig geeignet, die Abhängigkeit seiner Kunst von den Mitteln, durch welche er den künstlerischen Gedanken ausdrückt, und zumal von den technischen Mitteln anzuerkennen. Gewiß ist ja, daß der Maler nicht dadurch besser wird, daß er theuere Farben, bessere Zeichnungs-Materialien, bessere Pinsel braucht, und gewiß ist auch, daß der Fortschritt, den die Herstellung der Farben und des Malergeräthes gemacht hat, nicht darum auch bessere Maler erzeugt hat, als es die alten Italiener und Niederländer waren, die ihre Farben noch selbst herstellen mußten. Aber dennoch darf man den Satz aufstellen, daß die Kunst sich auch durch die Verbesserung ihrer technischen Mittel entwickelt, und dies gilt vielleicht für keine Kunst im höheren Grade wie für die Musik. Darüber wird man sich nicht wundern, wenn man die eigenartige Stellung der Musik unter den Künsten recht in's Auge faßt, welche sich von den anderen Künsten in einem sehr wichtigen Punkte unterscheidet. Während nämlich die anderen Künste, und die Architektur nicht ausgenommen, sich an dem Studium der Natur heranbildeten und weiterentwickeln, weil diese ihnen unerschöpflich neue Vorbilder lieferte, konnte die Musik aus der Natur gar nichts für sich gewinnen, denn die wenigen musikalischen Erscheinungen, welche die Natur bietet, können das musikalische Empfinden des Menschen nicht wecken, nicht fördern. Erst als der Mensch es lernte, musikalische Töne zu erzeugen, erst als eine, wenn auch noch so unentwickelte Technik ihm die Mittel an die Hand gab, Töne und Tonformen nach Belieben rein hervorzubringen und zu belauschen, da erst war dem Menschen die Möglichkeit geschaffen worden, die Schönheit der Musik zu empfinden und weiter zu bilden. Von diesen Anfängen aus hat sich die Musik immer an der Hand des Fortschritts, welchen die technische Erzeugung des Tones gemacht hat, weiter entwickelt und sie wird dies auch in Zukunft weiter thun, sobald die Technik ihr neue Tongebiete erschließt. Wie dies geschehen kann, das hier in Kürze zu zeigen, soll die Aufgabe dieser Darstellung sein.

Der musikalische Ausdruck, wie er heute ist, setzt sich zusammen aus vier Elementen, aus dem melodischen, dem harmonischen, dem rhythmischen und demjenigen, welches die Stärke des Tones und des Tongebildes betrifft, dem dynamischen. In früheren Zeiten, wo die Mittel der Tonerzeugung noch unentwickelt waren, kamen hauptsächlich Melodie und Rhythmus in Betracht und das harmonische Element konnte sich erst entwikkeln, als die Schwierigkeiten für die gleichzeitige Erzeugung mehrerer Töne überwunden waren. 

Zuerst war es wohl die Orgel, welche die Erzeugung harmonischer Tongebilde ermöglichte, und wenn daher die Weiterentwicklung der Musik sich zumeist in der Kirchenmusik geltend machte, so ist dies wohl dem Umstande zuzuschreiben, daß durch Jahrhunderte hindurch die Orgel das einzige polyphone Instrument blieb. 

Zu den Mitteln nun, welche die Musik für den Ausdruck des künstlerischen Empfindens hat, gesellt sich noch ein fünftes, welches dermaleinst, wenn es frei beherrscht werden kann, das erste werden wird, der Klang. Schon heute kennen wir ja den Zauber des Klanges, der für die Musik, was Farbe und Colorit für die Malerei ist. Aber wie ärmlich sind heute unsere Mittel, den Klang in seinem unendlichen Reichthum hervorzurufen, und warum? Weil unsere technischen Mittel nicht ausreichen. Wir wissen durch Helmholtz, wodurch der Klang entsteht, daß er sein Entstehen dem gleichzeitigen Ertönen vieler Töne verdankt, und wir können daraus schließen, daß das klangliche Element an Reichthum und Unerschöpflichkeit die anderen musikalischen Elemente weit hinter sich lassen muß. Aber so lange wir noch darauf angewiesen sind, nur die wenigen Klänge, die wir zufällig erzeugen können, zu verwerthen, statt in freier Weise beliebig viel Töne zu Klängen zusammenfügen zu können, so lange bleibt uns dieser Schatz verschlossen. 

Die Töne, wie wir sie heute erzeugen, entstehen durch mechanische Einwirkungen unsererseits auf klingende, feste Körper, oder, wie bei den Blas-Instrumenten, auf Luftsäulen. Die Obertöne welche hierbei entstehen, stehen nur in sehr beschränktem Maße in unserer Gewalt und wir werden auch kaum hoffen können, daß wir in dieser Beziehung eine größere Macht gewinnen, so lange wir noch unmittelbar durch mechanische Mittel den Ton hervorrufen müssen. Denn wir vermögen die mechanischen Verhältnisse, von denen die Entstehung der Töne und Obertöne abhängt, nur im beschränkten Maße und nicht in raschem Wechsel abzuändern, welche die Kunst des Klanges erfordern würde, und so lange wir nicht die Mittel haben, welche uns gestatten, Töne zu jeder Zahl und Stärke zu erzeugen, so lange bleiben die Herrlichkeiten des Klanges uns unerreichbar. Die Möglichkeit einer solchen freien Beherrschung der Tonerzeugung scheint aber nur auf der Anwendung der Elektricität zur Erzeugung des Tones zu beruhen, und wenn wir sehen, wie durch die Elektricität im Telephon die Wiedergabe so vieler Klangverschiedenheiten möglich gemacht wird, so muß sich unsere Hoffnung für die freie Beherrschung des Klanges naturgemäß auf die Elektricität richten. 

Die Elektricität vermag jene Fülle gleichzeitiger Bewegungen, wie sie der Klang bedingt, wiederzugeben, man wird mit ihr dieselbe darum auch erzeugen können, und wenn wir erst dahin gekommen sind, musikalische Töne mittelst Elektricität zu erzeugen, so werden wir auch bald weiter dahin kommen, daß wir diesen Tönen beliebige Klangfärbungen geben können. Wir wollen hier unerörtert lassen, wie man sich eine solche Tonerzeugung denken kann. Die Zukunft wird uns noch manche Entdeckung bringen, welche uns neue mechanische Wirkungen der Elektricität lehrt, und wir dürfen hoffen, daß auch die akustischen Wirkungen der Elektricität noch Erweiterungen erfahren werden. Jedenfalls dürfen wir daran festhalten, daß die freie Erzeugung des Klanges durch die Elektricität ermöglicht erscheint und daß dann mit der Anwendung der Elektricität in der Musik diese Kunst in eine ganz neue Entwicklungsphase treten wird.
(Techniker.)

Vor diesem Hintergrund wird eine nähere Betrachtung der ersten elektrischen Instrumente zeigen, daß ihre Entwicklung und Funktionsweise des Klangerzeugungs-, Klangmanipulations- und Spielprinzips eine enge Verwandtschaft mit den heutigen Synthesizern aufweist. Vergangenheit und Gegenwart geben sich hier die Hand. 

Nachstehend sei eine kurze chronologische Übersicht über die Entstehungsdaten der wichtigsten Instrumente gegeben: 
 

Mechanisch-elektrische Klangerzeugung 
 
1862 Helmholtz' Buch "Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik" 
1884 Der Engländer Boyle schlägt ein Klavier mit elektrischer Tonerzeugung vor (es ist unklar, ob dieses Prinzip durchgeführt wurde) 
1885 Eine ähnliche Schaltung wird von einem Deutschen namens Lorenz bekannt 
1896 Justizrat Dr. Richard Eisenmanns elektromagnetisches Klavier 
1930 Der Neo-Bechstein-Flügel von Geheimrat Prof. Dr. Walter Nernst und den Firmen Bechstein (mechanische Teile) und Siemens (elektrische Teile) 
1931 Das Elektrochord von Oskar Vierling 

Rein-elektrische Klangerzeugung 
 
1900 Duddells tönender Lichtbogen
1911 W. Burstyn konstruiert ein elektrisches Musikgerät, basierend auf Duddells Prinzip 
1915 Lee de Forest führt die Elektronenröhre als Klangerzeuger ein
1924 Patenterteilung für die Instrumente von Leon Theremin, und Friedrich Trautwein
1925 Patenterteilung für Jörg Mager; zur gleichen Zeit entstand sein Spährophon
1930 Das Hellertion von Bruno Helberger und Peter Lertes

Die elektrischen Instrumente lassen sich, gekennzeichnet durch die Hervorbringung ihres Klanges, in zwei Gruppen mit rein elektrischer und mechanisch-elektrischer Klangerzeugung unterteilen. Bei der letzteren Gruppe ist noch ein traditionelles Musikinstrument der eigentliche Klangerzeuger, die Elektrizität übernimmt hier nur klangmanipulierende Aufgaben. Diese Art des Einsatzes der elektrischen Schwingungen bildete notgedrungen auch den Anfang dieser neuen Klangerzeugung. Da es noch keine einsatzfähigen Lautsprecher gab - obgleich das Prinzip theoretisch schon bekannt war -, mußte der Klang über die Resonanz des jeweiligen Musikinstrumentes hörbar gemacht werden. 

Die nächste Folge des historischen Rückblickes befaßt sich daher mit Eisenmanns und Vierlings Klavierkonstruktionen. Zur Veröffentlichung kommen hierbei wieder zeitgenössische Texte und auch Schaltpläne.

1. Teil: Die Prophezeiung eines "Technikers" - ZeM  Nr. 4 (I/1991)
2. Teil: Das elektrisch manipulierte Klavier - ZeM  Nr. 6 (1/1992)
3. Teil: Der elektrisch erzeugte Klang - ZeM  Nr. 10 (März 1993)
4. Teil: Musik aus Luft - ZeM  Nr. 11 (Juni 1993)
5. Teil: Sphärenklänge - ZeM  Nr. 14 (April 1994)
6. Teil: Saitenspiele (1) - ZeM  Nr. 15 (September 1994)
6. Teil: Saitenspiele (2) - ZeM  Nr. 16 (Januar 1995)

 

 


Klaus Weinhold

Ein noch kurzes Kapitel

Fast 2 Jahre Verein für Elektronische Musik und 8 Jahre regelmäßiger Aufführungen von Elektronischer Musik mit studiogefertigten Cassetten oder in unmittelbarer klassischer Aufführungsart am aufgestellten Instrumentarium. Ein kurzer Rückblick, ein Nachdenken ist vonnöten zur Standortbestimmung und zum Suchen und Finden neuer, vielleicht ungeahnter Möglichkeiten. 1982 waren erste Experimente an EMS-Synthesizer beendet, der Weg in die Öffentlichkeit konnte beginnen. Für Juni/Juli waren in der Stadtkirche Offenburg Konzerte mit Elektronischer Musik angesagt. Der Freiburger Komponist U. Kopka brachte jedoch - für den Schreiber dieser Zeilen unerwartet - einen damals neuen Jupiter4 mit, um darauf allein und zusammen mit der großen Orgel zu spielen. Die Aufführungen entwickelten sich jedoch aleatorisch, Zusammenspiele der Ausführenden auf Jupiter4 und Orgel, Alleinspiel der Finger und Füße auf Jupiter4 und großer Orgel, teilweise völlig frei sich ergebende Improvisationen und Soundprozesse. Ein damals hochaktueller Teisco SX400 kam hinzu, so daß ein sicher einmaliges und erstmaliges, leider auch letztmaliges Zusammenspiel von synthetischen und natürlichen Klängen entstehen konnte. Die Besucherzahl hielt sich, wie zu erwarten war, in bescheidenen Grenzen, ein intelligenter Zuhörer prägte damals den Kommentar "Soundalchemie", der das Anliegen und die Ausführung der Person und Instrumente genau traf.

Im Wintersemester 82/83 wurde erstmals der Versuch unternommen, in der Aula der PH "Vorführungen" Elektronischer Musik anzubieten. Es gab eine Mischung aus Live und Vorfertigung. Bänder für EMS-Synthesizer und Teiscos waren vorproduziert, Klavier und Orgel wurde dazugespielt. Es entstanden aus der Interaktion von Spieler und Band aleatorische Soundprozesse. Auch Live-Improvisationen für AKS wurden angeboten.

1984 fand wiederum in der Aula der PH ein erstes Wochenende "Electronic Sound" statt. Das "Programm" des Programms war kein Programm.... "Programm im herkömmlichen Sinn gibt es in der experimentellen Elektronischen Musik nicht mehr. Es gibt sie hier nur noch in einem neuen Sinn: Programme sind jetzt die programmierten und damit geordneten Sounderzeuger und die zu deren Modulation eingerichteten Steuerprozesse." Quadrophonie war erstmals angesagt und durchgeführt. Vorführungen von Synthesizer-Systemen ergänzten die Abfolge, und eine Live-Vorführung des damals aktuellen Jupiter8 wurde eingeschoben.

1985: "Bach-Jahr". Das Thema hieß "Bach - Metamorphosen, Bach für synthetische experimentelle Klänge". "Musikalische Partituren kann man als Programme oder Algorithmen und somit als Handlungsanweisungen zum Bedienen mechanischer Musikinstrumente auffassen. Zugleich sind sie eine komponierte Anordnung von Daten, die nicht nur vom Menschen, sondern auch von einem datenverarbeitenden Computer übernommen und reproduziert werden können."

Mit diesen Bach-Konzerten war die Frage nach der Aufführung klassischer Stücke durch elektronische Instrumente gestellt. Die Diskussion darüber sollte weitergeführt werden, besonders in pädagogischer Hinsicht, denn ob in heutiger Zeit der elektronischen Medien eine mechanische Reproduktion "handmade" noch vertretbar ist, scheint mehr als fraglich.

In den folgenden Jahren pendelte sich die Darbietungsform Elektronischer Musik für den Raum Aula der PH endgültig ein: Quadrophonie, Sexophonie, vorgefertigte Produktionen, Erläuterungen, zur Auflockerung manchmal Live-Spiel auf Instrumenten (DX, VS, u.a.). Die Dauer der Darbietungen begrenzte sich auf jeweils drei Stunden.

Eine Spaltung erfolgte dann mit der Einbeziehung von Produktionen einiger Vereinsmitglieder im vorigen Jahr. "Konzert" mit festem Programm, Zeiten und Namen, sogar Opus-Zahlen und die völlig aleatorisch gestaltete "Sound-Ausstellung", in der alles offen bleibt: die Türe, die Abfolge, der Zusammenmix der Stücke, die Besucherzahl und seit neuestem auch die Sektflaschen.

Das Jahr 91 wird eine Klärung und Institutionalisierung der Aufführungsart Elektronischer Musik bringen: Auf der einen Seite die auf sich selbst bezogene, sich hörbar machende, sich darstellende, sich selbst spiegelnde "Sound-Ausstellung", wie sie im Sommer 90 eigentlich perfekt im Raum erklang, und das publikumsbezogene, etwas darstellende, auf den Zuhörer zugehende Konzert.

Bei alledem ist von großer Wichtigkeit:
Elektronische Musik sollte nicht "gesehen" werden wollen, die Interpreten, die Instrumente, die Produktionsmaschinen, sondern sie sollte erst einmal intensiv gehört werden. Das muß unsere eigentliche Aufgabe werden:
Elektronische Musik nicht vorzuzeigen, sondern über das Ohr nahezubringen, den Hörer darauf einzustimmen, nicht zu reden, sondern erst einmal zu hören.

 

 


Franz Martin Löhle

Sekt und Elektronische Musik

Das ZeM Wochenende im Herbst 1990 an der Pädagogischen Hochschule Freiburg

Es ist sicher nicht übertrieben, das ZeM Wochenende am 24./25. November letzten Jahres in Freiburg, als einen der wichtigsten Höhepunkte der ZeM-Aktivitäten von ZeM Freiburg zu bezeichnen. Die Zahl der Besucher war, wenngleich sie für "unsere Verhältnisse" groß war, nicht allein das entscheidende. Weit wichtiger sind die einzelnen Gespräche zu werten, die zahlreich geführt wurden. Der Wert dieser Gespräche von ZeM-Mitgliedern und interessierten Besuchern und auch von ZeM Mitgliedern untereinander ist sicher nicht hoch genug einzuschätzen. 
Zum ersten Mal wurden diese Gespräche von Sekt begleitet, was einer Ausstellung nur recht sein muß. Diskussion um Beiwerk zur Elektronischen Musik wird es trotzdem sicher immer wieder geben, und es muß gesehen werden, daß das Hören von Musik allein noch recht schwierig ist. Hilfen boten jedoch nicht nur der Sekt, sondern auch die wieder ausgelegten Handzettel, die manche Konzerte begleiteten. Doch auch Graphisches half dem Zuhörer, sich Elektronischer Musik zu nähern, so z.B. die via Video dargebotenen Computergraphiken von Doris Elbe, deren Mann die Musik dazu produzierte. So gliederte sich das ZeM-Wochenende, das eine Art Sight Seeing durch die Elektronische Musik sein will, in drei Teile, der Soundausstellung, den Konzerten und den Workshops. 

"Dies ist kein Konzert! Stellen Sie sich die Aula als Galerie vor, die elektronischen Klänge als die ausgestellten Gemälde. Es ist fast alles erlaubt. Sprechen Sie die Produzenten an, falls Sie mehr über diese Musik erfahren wollen. Fragen Sie andere Ausstellungsbesucher nach ihren Eindrücken. Verlassen Sie die Aula, wenn Sie nichts mehr aufnehmen können oder wollen. Kommen Sie zurück, wenn Sie wieder aufnahmebereit sind." Mit diesen publikumsgerechten Worten wurde die Soundausstellung angekündigt, die Klaus Weinhold, der Schöpfer der Elektronische Musik-Wochenenden an der PH, mit seinen Produktionen bestritt. Wie immer waren auch dieses Mal auf seinen Produktionen die neusten Elektronischen Instrumente ... z.B. der "Süsi" (SY77) zu hören. Trotzdem muß leider gesagt werden, daß die Soundausstellung konzertanten Charakter hatte, und das Publikum der Einführung nur insofern gerecht wurde, indem es ab und zu hinaus ging und sich ein Glas Sekt genehmigte. 

Am darauffolgenden Tag fand um die gleiche Zeit das Konzert statt, bei dem verschiedene ZeM-Mitglieder Ihre Produktionen zu Gehör brachten. Zum ersten Mal mit dabei war Peter Kiethe, der eine durchkomponierte Produktion vorführte, die gewohnte Elektronische Klänge im strukturierten Wechsel mit rhythmischen und dynamischen Klangprozessen aufwies, die neu, aufregend und beruhigend zugleich wirkten. Dr. Walter Birgs Produktionen elektronischer Musik waren ein Wechsel von reinen Computerkompositionen, wie wir sie von seinen Workshop Programmen "Graphik und Elektronische Musik" her kennen, Improvisationen und nicht metamorphierten Bach-Werken (Contrapunktus 1 und 2). Da sonstige vorgesehene Produktionen noch nicht fertiggestellt waren, konnte auch ich noch einmal Bekanntes (u.a. Alexander, Stetig) mit anderer Boxenkonstellation zu Gehör bringen. Hierbei war es für denjenigen, der die Produktionen schon kannte, sicher nicht uninteressant, die Unterschiede der Klänge, bedingt durch diese andere Boxenaufstellung, zu vernehmen - die Interpretation der Boxen. Rainer Fiedlers "Nyxan" führte uns vor Ohren, daß auch "alte" analoge Klänge immer noch ihre Berechtigung in der Elektronischen Musik haben und wegen ihrer Modulationsmöglichkeiten immer haben werden. 
Wie schon erwähnt war einer der Höhepunkte der Konzerte die Vorführung von "Computermusik & Computer - Videografik". Hierbei ist es dem Ehepaar Stange-Elbe (Doris Elbe und Dr. Joachim Stange-Elbe) gelungen eine Synthese zu erreichen, die dem Hörer möglichst entgegen kommt. Stange-Elbes Musik klang schön angenehm und zart, die "Kälte" der Computergraphik wurde sofort aufgefangen. 

Für den Besucher, der mehr über das wissen wollte, was er zu hören bekam, boten die verschiedensten Workshops reichlich Gelegenheit dazu. Wo gibt es denn Mozart-Konzerte, bei denen Mozart anwesend, seine Partituren erklärt? Unter vielem anderen wurden gerade auch aktuelle Instrumente vorgeführt, wie die Korg Wavestation und Waldorfs MicroWave, verschiedene Computerprogramme wie Cubase, Xpert4, A Produce, aber auch "Exoten" wie Amigas Music Mouse, die gerade dem Anfänger sehr viel Ausdrucksmöglichkeiten betreffs Elektronischer Musik bietet und last not least Sound Sampling, tot geglaubt, aber immer wieder faszinierend und wieder neu. 

Zuletzt darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch im Rahmen der Workshops spontan ein Live Konzert mit Synthesizern vorgeführt wurde. Hans Georg (Hans Jörg) Britz und Frieder Janus waren so vertieft in ihre Live Darbietung, daß niemand sie zu unterbrechen wagte. 

Das nächste ZeM Wochenende an der PH Freiburg (4./5. Mai 1991) wird auch wieder Neuerungen zeigen, so z.B. ein Display, mit dem der Computer-Bildschirm via Tageslichtprojektor an eine Leinwand geworfen werden kann.

 

 


Georg Sichma

Kulturkampf '90 in Bremen

Von Ideen und Realitäten

Am 6. Oktober 1990 fand in der Bremer Eislaufhalle der Kulturkampf '90 statt, eine Auftaktveranstaltung, die ihren Blick auf die Bremer Wahlen im kommenden Jahr richtete und die politische Welt davon in Kenntnis setzen und überzeugen wollte, daß der derzeitige Kulturetat in dieser unseren Stadt viel zu gering ist. Der deutsche Städtetag sprach bereits eine Empfehlung aus, den Kulturetat mindestens bei einer Größe von ca. 3% des Gesamtetats anzusiedeln - in Bremen sind es allerdings nur lächerliche 0,8%. In dieser Front gegen die kulturpolitische Ignoranz der hiesigen SPD-Regierung fand sich ein breites Spektrum kultureller Institutionen/Initiativen zusammen, neben den Etablierten gab es auch zahlreiche Vertreter der sog. Alterativkultur, in dessen Kreise sich ZeM Bremen gesellte. Für uns war es das erste Auftreten in der Öffentlichkeit, damit verbunden eine verstärkte Aufregung. Zu unserer Freude und Erleichterung hatte ZeM Freiburg signalisiert, an diesem Tage die Präsentation von ZeM in der Öffentlichkeit mit zu gestalten. Gemeinsam fühlt man sich eben stärker. 

Das ursprüngliche Konzept dieses Kulturkampfes sah folgendermaßen aus: die einzelnen Gruppen bekamen eine Art Messestand zugewiesen, zwischendurch gab es auf einer Bühne Diskussionen zwischen Politik und Kultur und schließlich auch Aufführungen einzelner Gruppen. Auf diese Weise sollte dem Publikum neben der Information ein buntes Programm geboten werden, gemäß dem zentralen Motto: soviel (Kultur) mit zuwenig (Geld)! 

Soweit zur ach so schönen Idee. Hier soll jetzt nicht näher auf die speziellen Verfilzungen und Animositäten in der Bremischen Kulturszene eingegangen werden. Allerdings machte sich doch deutlich bemerkbar, daß die Planungen letztlich oft an uns vorbeiliefen und wir folglich gefaßte Beschlüsse zu schlucken hatten. Vielleicht waren wir stellenweise auch zu blauäugig und haben uns zuviel bieten lassen. So bekamen wir zwar die gewünschte Standfläche von 24 qm, aber dafür standen wir direkt zwischen zwei Bühnen, die entgegen ursprünglichen Absichten mit ihrer Lautstärke die ganze Halle zudröhnten. Ein normales Gespräch wurde recht schwierig. Teilnehmer wie Publikum waren von dem Lärm gleichermaßen genervt und viele verließen vorzeitig die Show. 

In dieser Situation präsentierten Bremer wie Freiburger, was ZeM eigentlich ist, sein könnte und zu werden gedenkt. Neugierige wurden mit einem Flugblatt oder dem ZeM Mitteilungsblatt versorgt, ließen sich auf ein Gespräch ein, bekamen Programme und Hardware vorgeführt und konnten sich auf diese Weise einen Einblick in unser Tun verschaffen. 

Unsere musikalischen Beiträge hatten ebenfalls mit recht widrigen Umständen zu kämpfen - seien es technische Probleme oder unnötige Überlappungen gewesen - , und so bekamen sie nicht ihre verdiente Aufmerksamkeit. Bei all den Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert waren, und manchen Enttäuschungen, die wir mit nach Hause nahmen, soll aber ebenfalls betrachtet werden, welche Gewinne wir aus dieser Aktion ziehen konnten. 

Da gab es Leute, die waren freudig überrascht, daß es so was jetzt in Bremen gibt. Das führte zu potentiellen Neumitgliedern und außerdem zu einem Artikel in der "tageszeitung" (taz vom 2.11.90). Der wiederum brachte einige neugierige Reaktionen, u.a. eine künftige Zusammenarbeit mit dem Bremer Konzertveranstalter "Dacapo". 

Eine erfreuliche Begleiterscheinung des Kulturkampfes war die ZeM-interne Zusammenarbeit in diesen Tagen. So waren fünf FreiburgerInnen in Bremen vertreten. Neben der gemeinsamen Arbeit auf dem Stand waren die Gespräche untereinander sehr anregend und wir lernten uns nun endlich "live" kennen, was wir sonst vielleicht nicht so schnell geschafft hätten. Auch die Bremer kamen sich in dieser Zeit wieder ein Stück näher, bekamen und gaben Einblicke in das aktuelle Schaffen einzelner und dabei vielfältige Rückmeldungen. 

Nach der ganzen Aktion saßen wir schließlich noch bei Pierre Chuchana in trauter Runde zusammen, und dort entwickelte sich im Laufe des Gesprächs ein spannender Exkurs über die Musik mit ihren philosophischen Spannungsfeldern. Solch eine Entwicklung von Gedankengängen läßt sich schlecht planen, aber gerade diese spezielle Atmosphäre mit diesen Personen ermöglicht so etwas spontan. Dies war zwar kein Verdienst des Kulturkampfes, doch hatte er die Möglichkeit dafür geschaffen. 

Apropos Möglichkeit: Im Mai 1991 soll in Osnabrück eine Ausstellung bzw. Messe mit dem Titel "Klangart" stattfinden. Jörg Houpert von ZeM-Bremen wird sich mit Vortrag und Workshop präsentieren. Ob ZeM dort mit einem Stand vertreten sein wird, steht noch aus. Allerdings ist gerade in diesem Zusammenhang eine Rückschau auf den Kulturkampf in Bremen interessant.

 


 

Rückseite


© ZeM e.V. | ZeM Mitteilungsblatt Nr. 4 I/1991

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