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Gerda Schneider

Die unerträgliche Anstrengung der Elektronischen Musik

Diese Urteile sind für uns nicht neu: Elektronische Musik ist anstrengend, vielleicht zu anstrengend, man muß alte Hörgewohnheiten ablegen und neu hören lernen, sie verunsichert usw. (1). Diese Bewertung der Elektronischen Musik ist oft auch die Begründung für deren Ablehnung, und es stellt sich dann die Frage, ob es sich hierbei um einen vielleicht veränderbaren Zustand handelt, oder anders formuliert, wie die Chancen der Elektronischen Musik in unserer Gesellschaft stehen. Die Meinungen darüber sind kontrovers, wie den verschiedenen Artikeln in den ZeM-Mitteilungsblättern zu entnehmen ist. 
Geht man davon aus, daß die Akzeptanz von Kunst nicht nur ein Prozeß ist, der sich zwischen dem einzelnen und dem Objekt vollzieht, weil der einzelne immer eingebunden ist in soziale Gruppen, ist die Frage nach den Chancen der Elektronischen Musik zugleich die Frage nach unserer heutigen Gesellschaft. 
Unter diesem Aspekt hat Axel Mehlem in einem Artikel im ZeM-Mitteilungsblatt (2) die These vertreten, daß es eine Elektronische Musik mit Breitenwirkung nicht geben kann, denn, so die Begründung, die Elektronische Musik ist ihrem Wesen nach experimentell, hat damit einen idealistischen Ansatz, der mit den kommerziellen Marktstrategien nicht Einklang gebracht werden kann, während die am Kommerz ausgerichtete Musik sich nach dem Status quo richtet. In der Elektronischen Musik sieht Axel Mehlem eine "ungenormt fordernde Musik", die den Zuhörer herausfordert, sich mit sich und der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. 
Das heißt aber doch nun nicht anderes, als daß die Elektronische Musik ihren Zuhörern eine Anstrengung zumutet, die ein Großteil von ihnen nicht auf sich nehmen will. Verweigerung und Ablehnung sind die Reaktionen. 
Liegt das nun allein an dem besonderen Charakter der Elektronischen Musik, so wie er von Axel Mehlem in diesem Artikel beschrieben wird? Oder ist die Gesellschaft, in der wir leben, überhaupt überfordert, was zeitgenössische Musik und Kunst betrifft?
In einem Bericht von einer Diskussion über Neue Musik (3) wird von dem "oft gehörten Vorwurf der Unverständlichkeit" gesprochen, der als Grund für die Ablehnung der Neuen Musik gesehen wird. Dieser Vorwurf wird dann aber gleich auf seine Richtigkeit hin geprüft. Dabei ergibt sich, daß zwar die Neue Musik, in der der Komponist seine eigene Sprache erst entwickelt, sicher nicht beim ersten Hören verständlich sei, andererseits aber auch ein Beethoven beim ersten Hören nicht richtig verstanden werden könne. Der Unterschied scheine vielmehr darin zu liegen, daß Beethovens System bekannt und seine Sprache akzeptiert ist. Und dieser Unterschied führe dazu, daß beim Hören Neuer Musik der Hörer aktiver sein müsse. Aus diesen Überlegungen wird dann gefolgert, daß die Neue Musik durch die Häufigkeit und Art ihrer Darbietung (Einleitungen, mehrmaliges Spielen etc.) bekannter gemacht werden müsse, um beim Publikum entsprechend akzeptiert zu werden, "denn das Publikum ist weniger phlegmatisch, als man meinen sollte."
Von diesen Aussagen sind folgende sicher richtig und lassen sich ohne weiteres auf das Gebiet der Elektronischen Musik übertragen: Die Sprache ist neu und damit unverständlich, vom Hörer wird aktives Zuhören verlangt, das Verstehenlernen der neuen Sprache - oder besser: das Hörenlernen der neuen Sounds und Strukturen - ist oft sehr anstrengend, die Orientierung wegen der Unbekanntheit sehr schwierig. Richtig ist sicher auch, daß ein größeres Angebot vom Publikum nicht nur abgelehnt würde, und daß mehr Orientierungshilfen die Akzeptanz erhöhen könnten.
Doch kann man wirklich davon ausgehen, daß eines Tages, in vielleicht nicht zu ferner Zeit, Elektronische Musik nicht nur als eine Sache von Spezialisten angesehen wird, sondern als eine eigentlich natürliche Art, musikalische Ereignisse zu produzieren, so wie im Ensemble Moderne "die Konzentration auf Neue Musik schließlich erscheint nicht als Einengung oder Spezialisierung, sondern als die eigentlich natürliche Art des Musizierens"(3)?
Vor dem Hintergrund der Darstellung von Axel Mehlem erscheint diese Vision als Utopie. Vielleicht machen wir es uns aber zu leicht, wenn wir nicht an den Erfolg glauben. Oder sehen wir das bisher Erreichte in falscher Perspektive? Oder geben wir uns einfach zu wenig Mühe, einem breiteren Publikum die Elektronische Musik verständlich zu machen? 
Doch, wenn wir nun versuchten, die Elektronische Musik einer breiteren Menge verständlich zu machen und nicht nur zu Gehör zu bringen, wird sie denn dann auch in der Tat besser verstanden? Nimmt dadurch ebenfalls die Bereitschaft zu, die Anstrengung der Elektronischen Musik auf sich zu nehmen? Oder müßten wir doch von dem "ungenormt fordernden Charakter", der Radikalität, einiges, vielleicht sogar ziemlich viel zurücknehmen, um die Anstrengung erträglich zu machen? Und wenn daraufhin die Elektronische Musik von größeren Mengen gehört würde, könnten wir uns dann darüber freuen und dies als Erfolg feiern - nicht als persönlichen Erfolg natürlich, sondern als Erfolg der Elektronischen Musik?
Die Vorstellung allein, daß irgendwann einmal Elektronische Musik so wie heute die Klassik im institutionalisierten Musikbetrieb unters Volk gebracht wird, läßt allerdings keine reine Freude aufkommen. 
Doch der Erfolg der Elektronischen Musik ist nicht nur deshalb sehr begrenzt, weil echte Elektronische Musik sich nicht am Kommerz ausrichten kann oder weil sie noch zu unbekannt ist. In derselben Zeitung findet sich nämlich noch eine Würdigung des Komponisten György Ligeti anläßlich seines 70. Geburtstages (4), der keinen Optimismus aufkommen läßt. Gerade das Maß der Beachtung und Wertschätzung dieses Komponisten läßt erkennen, daß die neuen von ihm erschlossenen musikalischen Erfahrungswelten im Unterschied zu den 60er Jahren heute nicht gefragt sind. Dieser Umschwung wird einem Wandel im gesellschaftlichen wie künstlerischen Bereich von den 60er zu den 70er Jahren zugeschrieben, der in diesem Artikel mit den Worten des Philosophen P. Sloterdijk als "Wechsel von der kopernikanischen Mobilmachung zu ptolemäischer Abrüstung" bezeichnet wird.
Wir können festhalten: Die "kopernikanische Wende" hatte also einmal stattgefunden, hatte zu einer geistigen Mobilität geführt, die dem Wissensstand der Zeit entsprach, aber man hat sich für den weiteren Aufbruch in den 70er Jahren nicht mehr gerüstet, man hat ihn nicht nur nicht fortgesetzt, im Gegenteil, man ist daran gegangen und ist noch dabei, ihn wieder rückgängig zu machen, ist nicht mehr bereit, die dazu nötige Anstrengung auf sich zu nehmen. Daß die "ptolemäische Abrüstung" einer Aufrüstung gegen die Elektronische Musik gleichkommt, braucht nicht erst bewiesen zu werden (vielleicht muß ich an dieser Stelle doch noch darauf hinweisen, da viele Begriffe ja durch ihre politische Verwendung in ihrem ursprünglichen Sinn oft nicht mehr verstanden werden: "Mobilmachung" und "Abrüstung" sind hier nicht als miltärisch-politische Begriffe zu verstehen).
Dieser Weg zurück ist nun noch verbunden mit einem Wandel der Gesellschaft zu einer "Erlebnisgesellschaft"(5), die nicht nur im Warenbereich, sondern auch im Kulturbereich konsumiert, um zu erleben und damit aus dem Leben ein schönes Leben zu machen, d.h. ein Leben aus schönen gleich angenehmen Erlebnissen und Empfindungen. Auf dem Erlebnismarkt, der dem Konsumenten das Angebot der verschiedenen Erlebnismöglichkeiten offeriert, konkurriert das Theater mit der Sportschau, die Oper mit der Disco, der Freizeitpark mit dem Museum - entschieden wird danach, was mehr Erleben, mehr Genuß verspricht. Erkenntnis, vor allem wenn sie mit Anstrengung verbunden ist, ist nicht gefragt. Und wenn die Entscheidung für ein Kulturangebot mit anstrengendem Inhalt gefällt wird, ist das Erlebnis auch hier sozusagen integriert und zeigt sich in Fragen wie "wohin gehen wir hinterher"?
Dieser kulturelle Wandel führt dazu, daß die Aufnahmebereitschaft für die "ungenormt fordernde Musik" immer mehr abnimmt bzw. nicht entwickelt wird. Die mangelnde Bereitschaft, anstrengende Elektronische Musik zu hören, ist offensichtlich ein Phänomen, das symptomatisch ist für unsere Gesellschaft: "light" ist in, und Elektronische Musik ist nun mal nicht "light", sie ist, für viele, unerträglich anstrengend. Will man als Produzent von Elektronischer Musik nicht auf dem Erlebnismarkt mit anderen Erlebnisanbietern konkurrieren entsprechend den Gesetzen dieses Marktes, wird der Erfolg, so er überhaupt meßbar ist, unter den gegebenen Bedingungen bescheiden sein. Das ist nun kein Grund zum Pessimismus, genauso wenig aber zum Optimismus. Realismus ist notwendig, ein Realismus, der uns auch vor Selbstkonstruktionen von Erfolg bewahrt.

 

(1) vgl. dazu: ZeM-Mitteilungsblätter seit 1989
(2) A. Mehlem: Elektronische Musik hat keine Breitenwirkung, in: ZeM Mitteilungsblatt  Nr.3/1990 
(3) D. Gottwald: Diskussion über Neue Musik, in: Neue Musikzeitung Nr.2/ 1993 , S.21 
(4) D. Gottwald: a.a.O.
(5) R. Schulz: Schwierigkeit, anständig zu komponieren, in: Neue Musikzeitung Nr.2/1993, S.16 
(6) G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, Kultursoziologie der Gegenwart, Campus Verlag Frankfurt/New York 1992

 

 


Franz Martin Löhle

Das "verschärfte" Waveshaping

... wurde beim Freiburger Mitgliedertreffen im März von Corinna Uhl dargerboten. Nach der Klärung, ob 'Shape' und scharf oder Form bedeutet (das letztere war es), wurde den reichlich Anwesenden zu Gehör gebracht, wie auf bestimmte Wellenformen (i.d.R. Samples) das Shaping wirken kann. Die Samples der Korg 01R/W wurden dadurch fast neu "synthetisiert". Der 01../W ist deshalb der einzige Synthesizer, der von Korg die letzten Jahre herausgebracht wurde, der tatsächlich den Klang noch synthetisiert. Weiter ist Klangerzeugung bei ihm durch die Beschränkung auf 2 Oscillatoren und den üblichen Parametern (Osc -> Filter -> Amplifier und deren Controller) wieder durchschaubar und führt schnell von den einfachen Samples zu neuen Klangwelten. Einhellig wurde begrüßt, daß es auf dieser Weise möglich ist, bestimmte Instrumente, auch von einer anderen Seite kennenzulernen. 
Dies bestätigte auch das Mitgliedertreffen (Freiburg) im April, bei dem Hubert Arnolds den K4r aus dem Hause Kawai vorstellte. Auch hier konnten die anwesenden Mitglieder erfahren, daß ein solch "einfacher" Synthesizer wie der K4r seine synthetischen Reize bietet. Hier bereichert speziell eine ausgeklügelte Ringmodulation die üblichen ROM-Sample-Klänge. Hieraus ergab sich wieder, daß es auch möglich ist, mit einfachen und sehr preiswerten Synthesizern Elektronische Musik, die weiter als nur Standard-Presets geht, zu kreieren. 
Nach zweimal Hardware sollte im Mai wieder Software zum Zuge kommen. Neben Delight ist nun auch der Notator Logic für Atari ST erschienen. Leider war es Emagic nicht möglich, den Logic rechtzeitig für das Mai-Mitgliedertreffen zur Verfügung zu stellen. Wer sich trotzdem für eine Einführung und Umsteiger-Hilfen für Notator Logic interessiert, sei auf das ZeM College Kursangebot verwiesen (gelbe Zettel ...). Spontan wurde deshalb das Delight begutachtet und die wichtigsten Dinge des Kurzweil K2000 und Peavy DPM 3+ durchforscht, was durch die geringe Anwesendenzahl sehr gut möglich war. 

 

 


Corinna Uhl

Bericht aus Bremen

Sicherlich werden sich nun einige Freiburger und Bremer ZeM-Mitglieder wundern, daß ein Freiburger ZeM-Mitglied einen Bericht aus Bremen schreibt. Der Anlaß ist nicht sehr erfreulich: Der 1. Vorsitzende von ZeM Bremen Erwin Koch-Raphael tritt von seinem Amt zurück. Grund für diesen Entschluß war hauptsächlich seine sehr spärlich bemessene Zeit; ein großes Projekt ist geplant, das seinen vollen Einsatz fordert, so daß er seine Funktionen als erster Vorsitzender des Bremer Vereins nur noch eingeschränkt wahrnehmen könnte. Außerdem erhofft er sich durch diese Umstrukturierung des Vorstandes neue Innovationen für den Verein selbst. Es ist zwar einerseits gut für einen Verein, einen konstanten Vorstand und Ansprechpartner zu haben - seit Gründung von ZeM Bremen 1990 war er 1. Vorsitzender - andererseits bringt ein Personenwechsel auch Veränderungen mit sich, die dazu führen, daß die Vereinsstrukturen neu überdacht werden müssen. Dennoch, Erwin Koch-Raphael bleibt weiterhin Mitglied bei ZeM Bremen und wird auch, sobald es seine Zeit erlaubt, Artikel im ZeM MT veröffentlichen. 
Wie auch immer sich die Entwicklung in Bremen fortsetzen wird, ZeM Freiburg bedauert diesen Schritt und möchte sich an dieser Stelle für die Zusammenarbeit herzlich bedanken. 
Im folgenden der Wortlaut des Rücktrittsgesuch Erwin Koch-Raphael an den Schriftführer ZeM Bremens Ingo Beck vom 25.5.1993:
 

Lieber Ingo, 

hiermit erkläre ich offiziell, daß ich mit Wirkung vom heutigen Tage mein Amt als 1. Vorsitzender des Vereins ZeM Bremen e.V. niederlege. 
Ich bleibe jedoch weiterhin Mitglied des Vereins. 
Ich bitte die Mitglieder des restlichen Vorstands, sich gem. den Regeln der Satzung um einen neuen Vorsitzenden unter Berücksichtigung aller nötigen Formalien zu kümmern. 
Georg Sichma ist bereit, fürs erste meine Vertretung zu übernehmen, bis eine Neuwahl stattgefunden hat. 
Ich danke für das bisher mir entgegengebrachte Vertrauen. 

Mit freundlichen Grüßen 

(Erwin Koch-Raphael)

 

 


Gerhard Wolfstieg

Neue VerMittler 
 

IV " "Neue Medien" " 

Die "Neuen Medien" sind: 

1. Der Computer 
2. Medium X unter Einsatz des Computers 
3. - ? -
Die "Neuen Medien" sind: 
 
a) die von der privaten Wirtschaft in den 70/80-er Jahren entdeckten Medien 
b) die technischen Medien, - aber was ist Technik? Technik ist die Kunst/... , hier kommt etwas ganz und gar durcheinander. 
c) nicht existent. 
Die "Neuen Medien" sind: 
     Videos 
oder 
     Videoclips 
oder 
     Videorecorder 
Wie unterscheidet sich die Bedeutung der Begriffe 
"Neue Medien" 
und
neue Medien 

 

Neu! - Wie neu? 
Das Attribut 'neu' eignet sich nicht für den analytischen Diskurs. In Aussagen der Ästhetik, im spezifischen Urteilen mag 'neu' seinen Platz haben und Neuartiges seinen Reiz ausüben. 
Der Begriff 'Medien' zielt auf Allgemeines, 
'neue Medien' ist also ein Begriff, dem die Anwendbarkeit fehlt. 
"Neue Medien" als Phänomen - , übergeben wir es der politischen, ökonomischen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung.

 

I Um den Begriff des Mediums ZeM Nr. 9 - 4/1992
II Werkzeug oder Medium  ZeM Nr. 9 - 4/1992
III Was ist ein Computer / nicht ? ZeM Nr. 10 - März 1993
IV "Neue Medien" ZeM Nr. 11 - Juni 1993

 

 


Dr. Joachim Stange-Elbe

Elektronische Musikinstrumente.

Ein historischer Rückblick mit zeitgenössischen Dokumenten.

4. Teil: Musik aus der Luft.
Der Theremin-Apparat und die Ondes Martenod

Während der zwanziger Jahre wurden vermehrt elektrische Instrumente geschaffen, die explizit der Elektroenröhre von de Forest als Klangerzeuger sich bedienten. Als herausragendes Beispiel sei hier auf das "Aetherophon" des russischen (heute fast einhundertjährigen) Physikers Leo Theremin verwiesen. Das 1920/21 fertiggestellte und nachfolgend ständig verbesserte Instrument ist nichts mehr als ein Radioapparat zur Musikerzeugung, konstruiert zu einer Zeit, wo man bei in Deutschland noch nicht einmal an den regelmäßigen Rundfunk dachte. In Berlin wurde dieses Instrument erstmals 1927 vorgestellt. Der Artikel mit der bezeichnenden Überschrift "Die Sinfonie der Rundfunkröhre" (Hans Böhm, Die Sinfonie der Rundfunkröhre, in: FUNK, Jahr 1927, Heft 41, S. 339ff.) wird Theremins "Ätherklavier" in engem Zusammenhang mit der Radiotechnik betrachtet. (Der Begriff "Ätherklavier" zeigt die Schwierigkeit in der Begriffsfindung: Während "Äther" noch über das Spielprinzip mittels Antennenbeeinflussung erklärbar ist, ergibt die Bezeichnung "Klavier" keinen Sinn, denn das Instrument hatte ja keine Klaviatur.) Der Theremin-Apparat sieht wie ein Radioapparat aus, zusätzlich zu der herausragenden Stabantenne ist ein kreisförmiger Drahtbügel an der Seite befestigt. Die Bewegungen der menschlichen Hand auf das Kraftfeld der um die Antenne liegenden elektromagnetischen Wellen üben eine steuernde Wirkung auf die Ströme im Apparat und ihre Frequenz aus: "Wird der Apparat in Funktion gesetzt, so entstehen in der Nähe des Stabes elektromagnetische Wellen von sehr geringer Energie, jedoch von einer ganz bestimmten Länge und Frequenz. Die Annäherung einer Hand, die ja Elektrizitätsleiter ist, verändert die Verhältnisse des elektromagnetischen Feldes rings um die Antenne, verändert ihre Kapazität und wirkt solcherweise auf die Frequenz des Wechselstromes, den der Apparat entsendet. Auf diese Weise entsteht im Raume, der die Antenne umgibt, eine Art unsichtbarer Griff, und ähnlich wie beim Cello der Finger, der auf eine Saite drückt, durch Annäherung an den Steg eine Erhöhung des Tones hervorruft, so wird auch hier der Ton höher je nach Näherbringen der Finger an die Antenne" (Leo Theremin, Ätherwellenmusik und neue Wege der Musik, in: FUNK, Jahr 1927, Heft 44, S. 368.). 
Annäherung und Entfernung der anderen Hand zur kreisförmigen Antenne an der Seite regelt die Lautstärke. Theremin brachte durch diese Art der Beeinflussung des "Radioapparates" das Rückkopplungsphänomen in geordnete, musikalisch ausdrucksfähige Bahnen. Die Rückkopplung, die heute bei einer Rundfunkübertragung kaum mehr auftritt, ist jedoch bei der manuellen Aussteuerung einer Tonbandaufnahme wenn der Mikrphoneingangspegel gegenüber dem Ausgangspegel zu hoch ausgesteuert wird als unangenehmer Pfeifton zu vernehmen: "Diese Töne, die er absichtlich erzeugt, beherrscht er völlig, und er gibt sie nicht bloß als Beigabe einer anderen Musik, er schafft so eine selbständige Musik" (Kurt Joel, Die Musik aus der Luft. Theremins Ätherklavier und Jörg Magers Sphärophon, in: FUNK, Jahr 1928, Heft 14, S. 110.). Theremin setzte einen störenden Mißstand bei der Musikübertragung in eine eigene Musik um, machte aus einer reproduktiven Not eine produktive Tugend. Darüber hinaus war das Instrument auch ohne weiteres als Rundfunkempfänger zu benutzen: "Eine unbedeutende Umschaltung macht aus dem Ätherklavier einen gewöhnlichen Rundfunkempfänger. Ja man kann sogar gleichzeitig empfangen und konzertieren, also z.B. das Orchester des Rundfunks als Begleitung zu eigenem Solomusizieren verwenden, was besonders zum Üben sehr empfehlenswert ist. Vorläufig werden aber unsere Leser noch keine Gelegenheit dazu haben..." (Hans Böhm, Die Sinfonie der Rundfunkröhre, a.a.O., S. 340.). Vorgestellt wurde dieser Apparat auf der Funkausstellung 1932 in Berlin. "Das Vorsatzgerät enthält einen kleinen Sender mit Netzanschlußteil, der durch eine geeignete Verbindung mit dem gewöhnlichen Rundfunkempfänger des Hauses zum Zusammenwirken gebracht wird. Aus dem Vorsatzgerät ragt ein Metallstab heraus, der zur Erzeugung des Spieles der Töne dient. Stellt man sich in die Nähe dieses Stabes und bewegt die Hand in einem Abstand von etwa 50 cm bis zu 2 cm, so läßt sich die ganze Tonskala, von den tiefen bis zu den hohen Tönen, mit Hilfe des Radioapparates und des angeschlossenen Lautsprechers zu Gehör bringen. Die erzeugten Töne sind weich und von außerordentlicher Klangschönheit. Die kommende Funkausstellung zeigt aber auch Vorrichtungen, die hinter den Empfänger und vor den Lautsprecher eingeschaltet werden können, um auch die Klangfarbe dieser Äthermusik beliebig formen zu können. Man wird auf diese Weise nicht nur die einfachen weichen Töne zu Gehör bringen, sondern auch beispielsweise Töne der Klarinette, des Fagotts und ähnliche Klangformen erzeugen können" (Gustav Leithäuser, Elektrische Hausmusik und Rundfunk auf der Funkausstellung, in: FUNK-Bastler, Jahr 1932, Heft 32, S. 509.). 
Mit dem Theremin-Apparat wurde die "wahre Rundfunkmusik" realisiert, die nur über den Lautsprecher als Klangerzeuger sich manifestierte. Theremin wollte speziell für sein Instrument einen geeigneten Lautsprecher bauen, damit die Tonwiedergabe exakt seinen Anforderungen entsprach. Über diese Weiterentwicklung, genauso wie über die Verbreitung des Instrumentes in Deutschland, gibt es keine weiteren Berichte. In Amerika erfreute das Thereminsche Instrument sich jedoch großer Beliebtheit: "Heute [1930] werden in Amerika die Thereminschen Apparate in Massen hergestellt. Als Spielzeug für die Jugend. Es ist natürlich sehr hübsch, mit leichten, eleganten Handbewegungen Melodien aus dem 'Äther' hervorzuzaubern; aber da sich mit unseren akustischen Musikinstrumenten weit bessere Resultate erzielen lassen, so handelt es sich im Grunde um nichts weiter als um eine radiotechnische Spielerei" (Richard H. Stein, Elektrische Musik, in: Die Musik, 1930, Heft 11, S. 861.). 
Gravierende Nachteile lagen in der ausschließlich einstimmigen und schwierigen Spielbarweise. Theremin löste das Problem mit einigem Aufwand: "Zur Zusammenstellung eines Orchesters [braucht man] nicht etwa ebensoviel Apparate und Lautsprecher und Battarien... als man Stimmen wünscht. Nur die Antennen müssen für jeden Spieler besonders sein, alles andere kann gemeinsam bleiben bis auf die Zuschaltung einer neuen Generatorröhre für jede neue Stimme" (Hans Böhm, Die Sinfonie der Rundfunkröhre, a.a.O., S. 340.). Von Theremin selbst stammt auch der Vorschlag, mehrere - höchstens jedoch drei - Spielantennen an einem Apparat von der Hand eines Spielers beeinflussen zu lassen, "indem die Antennen parallel zueinander angeordnet werden und die spielende Hand innerhalb des so gegebenen Raumes bald der einen Antenne genähert und von der anderen entfernt wird, so daß man gleichzeitig drei Stimmen erzeugen kann. Allerdings dürfte zur Hervorbringung einwandfreier Musik eine große Gewandtheit des Spielers gehören" (Otto Schultze, Elektrische Musikerzeugung, a.a.O., S. 436.). Es war schon ein gewandter und geübter Spieler gefordert, um mit der ganz besonderen Spielweise, die keinerlei festen Anhaltspunkt für die Tonhöhe gab, sich zurechtzufinden. Von anderen elektrischen Instrumenten unterscheidet es sich auch heute noch durch die direkte Tonerzeugung, ohne irgendwelche dazwischengeschaltete Mechanismen wie z.B. eine Tastatur. "So wie der Klavierspieler auf den Tasten hin- und herfährt, so fährt Prof. Theremin in der Luft, im Raum, hin und her, ohne die Antenne zu berühren, variiert die Tonhöhe und Tonstärke" (Ohne Verfasser, Theremins Sphärenmusik, in: Die Umschau 31, 1927, S. 1013f.). Der Spieler zieht die Musik gleichsam aus der Luft, der menschliche Körper dient als Elektrizitätsleiter, als Beeinflusser einer Steuerspannung: "Die Veränderung der Tonhöhe und -stärke kann durch die Bewegungen nicht allein der Hände, sondern auch des ganzen Körpers hervorgerufen werden, selbst wenn sich dieser in ziemlicher Entfernung vom Apparat befindet. Diese Möglichkeit eröffnet einen weiten Ausblick für die Probleme der Musik im Zusammenhang mit dem Tanz" (Leo Theremin, Ätherwellenmusik und neue Wege der Musik, a.a.O., S. 368.). 
Die Utopie einer direkten Umsetzen von Bewegung in Musik, heute unter musikalischem Einsatz des Computers praktiziert, wurde in der damaligen Zeit als durchaus realisierbar dargestellt: "Werden nicht eines Tages die Tanzenden selber ihre Musik machen? Noch Utopie? - wie lange noch?" (Heinrich Strobel, Musik aus dem Äther, in: Musikblätter des Anbruch IX 1927, Heft 10, S. 435.). 
Mit gebührender Vorsicht sind dagegen einzelne Berichte über die "verschiedenen" Klangfarben des Theremin-Apparates zu werten: "Seine [des Tones] Klangfarbe ist mannigfacher Art, je nach Einstellung der Schaltung und der Dimension des Antenne, die durch aufsteckbare Hülsen leicht verändert werden kann" (Hans Böhm, Die Sinfonie der Rundfunkröhre, a.a.O., S. 339f.). An anderer Stelle ist zu lesen: "Die Art des Tones kann nun von Prof. Theremin dem einer Violine, eines Klaviers, einer Trompete, einer Orgel, ebenfalls durch die Hand nachgebildet werden. Nähert er z.B. die Hand langsam, so empfängt der Hörer den Eindruck vom Ton eines Streichinstrumentes; nähert und entfernt er die Hand ruckartig, so empfängt man den Eindruck von dem Hämmern eines Klavieres in Form eines Staccatos. Durch Änderung der Klangfarbe vermag man den geschlossenen Ton eines Streichinstrumentes umzumodeln in den eines Blasinstrumentes. Kurz die Modulationsgabe des Spielers vermag ungezählte Klangfarben aus diesem Instrument herauszuholen. Am günstigsten für die Wiedergabe erwiesen sich bisher getragene Kompositionen" (Ohne Verfasser, Theremins Sphärenmusik, a.a.O., S. 1014. Bei aller theoretischer Möglichkeit zur Gestaltung eines Stakkato ist es durch die recht schwerfällige Tongestaltung fast unmöglich, mit dem Ätherophon Virtuosenstücke wiederzugeben.). Und Heinrich Strobel stellt nach Theremins Berliner Konzert fest, daß "der Ton seiner 'Ätherwellenmusik'... in allen seinen Erscheinungsformen immer an eine Geige von besonderer Sonorität des Klanges" erinnert (Heinrich Strobel, Musik aus dem Äther, a.a.O., S. 435.). Und auch ein anderer Konzertbesucher sieht angesichts des postulierten Klangfarbenreichtums sich enttäuscht: "Der Klangcharakter bleibt im allgemeinen gleich - was an sich ein Mangel ist, denn eine der haupsächlichen Aufgaben elektrischer Musikerzeugung wird eines Tages die freie Schaffung jeder beliebigen Klangfarbe durch entsprechende Mischung der Obertöne sein -, aber er ist, zumal in der Mittellage, schön durch seine Eigentümlichkeit, die ihn zwischen Holzbläser und die menschliche Stimme stellt" (Frank Warschauer, Elektrische Tonerzeugung, in: Musikblätter des Anbruch XI 1929, Heft 5, S. 216.). 
Der (nicht vorhandene) Farbenreichtum von Theremins Ätherophon ist glücklicherweise heute noch klanglich erlebbar. Eine seiner größten Virtuosinnen, die in Rußland geborene Amerikanerin Clara Rockmore (sie wurde 1918 geboren und kam im selben Jahr (1927) wie Theremin als Geigenwunderkind nach Amerika. Nach Angaben von Bob Moog brachte sie es als einzige zu einem virtuosen Spiel auf Theremins Apparat), spielte 1975 eine Schallplatte mit dem Theremin Apparat ein. Beim Anhören der zwölf aufgenommenen Stücke bleibt die Klangfarbe (eine Mischung aus Cello, Holzbläser und weiblicher Stimme) stets gleich. Wenn das Instrument einen Klangfarbenwechsel ermöglichen würde, hätte Clara Rockmore sicher darauf zurückgegriffen. Zudem werden auf der Schallplatte nur Bearbeitungen wiedergegeben - Stücke von Rachmaninoff ("Vocalise"), SaintSaens ("Der Schwan"), Strawinsky ("Berceuse" aus dem Feuervogel) und Tschaikowsky ("Valse sentimentale" und "Serenade Melancolique"). Zwar werden schon aus der Frühzeit des Ätherophons eigens für das Instrument geschriebene Stücke erwähnt, ein "Sinfonisches Mysterium" für Orchester und Ätherophon des russischen Komponisten Andrej Filippowitsch Paschtschenko von 1923, sowie "eine Originalkomposition von J. Lewin". Über die Gestalt und Charakteristika dieser Stücke wird jedoch nichts erwähnt. Die Tatsache, daß Clara Rockmore keine einzige Originalkomposition für ihre Schallplatteneinspielung ausgewählt hat, läßt darauf schließen, daß die oben genannten Werke wohl die einzigen Originalkompositionen waren und das Instrument aufgrund seiner nicht leichten Spielbarkeit die Komponisten eher abschreckte als animierte. So existieren auch keine eigens für Clara Rockmore geschriebenen Stücke. 
Bis auf eine Ausnahme (Edgar Varèse's "Equatorial" von 1934) ist es schwer ein Bild davon sich zu machen, wie in diesen Originalkompositionen das Ätherophon musikalisch eingesetzt wurde. Doch auch über dieses Werk liegen widersprüchliche Angaben vor: es wurde 1934 für zwei Theremin-Geräte geschrieben, ein paar Jahre später wurde die Instrumentation erweitert, Doch hiervon kann keine Rede sein; ursprünglich gesetzt für Solobaß, 4 Trompeten und Posaunen, Klavier, Orgel, zwei Theremin-Apparaten und Schlagzeug, wurden in der revidierten Fassung von 1961 der Solobaß durch einen Chor aus Baßstimmen und die Theremin-Apparate durch zwei Ondes Martenod ersetzt (Siehe hierzu: Edgar Varèse, Rückblick auf die Zukunft, = Musik Konzepte Bd. 6, hg. v. Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1978, S. 105.). Diese Revision resultierte offensichtlich aus der Schwierigkeit, zwei Spieler zu finden, die den doch recht problematischen Part der Ätherophone spielen konnten. Die klangverwandte Ondes Martenod wer hingegen verbreiteter und auch bequemer zu spielen. Sie basieren im Prinzip auf der gleichen Tonerzeugung wie das Magersche "Sphärophon" (siehe die nächste Folge) und lassen auch technisch sich durchaus mit dem Ätherophon vergleichen. Der Unterschied liegt lediglich in ihrem Spielprinzip: Die Kapazitätsveränderung, die beim Ätherophon durch die Handbewegung im elektromagnetischen Feld der Antenne bewirkt wurde, war bei Martenod durch ein Metallband ersetzt, an den ein Zeiger gekoppelt war. Dieser Zeiger lief über eine aufgezeichnete Klaviatur, sie diente als Anhaltspunkt für die Einstellung der Töne. Gleichmäßige Intervalle waren damit ebenso wie fließende Glissandi spielbar.

 

1. Teil: Die Prophezeiung eines "Technikers" - ZeM  Nr. 4 (I/1991)
2. Teil: Das elektrisch manipulierte Klavier - ZeM  Nr. 6 (1/1992)
3. Teil: Der elektrisch erzeugte Klang - ZeM  Nr. 10 (März 1993)
4. Teil: Musik aus Luft - ZeM  Nr. 11 (Juni 1993)
5. Teil: Sphärenklänge - ZeM  Nr. 14 (April 1994)
6. Teil: Saitenspiele (1) - ZeM  Nr. 15 (September 1994)
6. Teil: Saitenspiele (2) - ZeM  Nr. 16 (Januar 1995)

 


 

Rückseite


© ZeM e.V. | ZeM Mitteilungsheft Nr. 11 - Juni 1993

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